Bielefelder Frauenpreis 2020 (I) Pensionierte Kommissarin - und ihr besonderer Einsatz für den Fahrradhelm

Bielefeld. Wenn auf Ellen Haase eins zutrifft, dann das: Sie ist pragmatisch. Was will sie lange rumdiskutieren über das Thema Helmpflicht für Radfahrer? &bdquo;Na klar, wir haben jedes Jahr 400 tote Radfahrer, und viele davon könnten noch leben", sagt die 61-Jährige, die Ende 2017 als Polizeihauptkommissarin vorzeitig in den Ruhestand ging; einen Ruhestand, der keiner ist. Haase ist eine Frau, die sich engagiert. Dienstlich, im Ehrenamt, privat, überall. So lange, bis die Akkus leer sind. Alles nüchtern und klar und durchaus hartleibig. Sie, die nominiert ist für den Frauenpreis, sagt zu ihrem Anliegen einen Satz, der typisch ist für sie: &bdquo;Zu sagen, was ist." Punkt. Sie sagt, was ist. Das tat die Gadderbaumerin in ihrer langen Karriere bei der Gütersloher Kreispolizei (Todesermittlung, Opferschutz, Pressestelle, Verkehrssicherheitsarbeit). Das ist bis heute ihre Haltung. Und das hat Gründe. Ellen Haase hat Dinge gesehen, um die viele Menschen in ihrem Leben herum kommen. Zerfetzte Menschen und ermordete Menschen, Gehirne auf Straßen, zerquetschte Kinder unter Bussen. Ihr Fazit: &bdquo;40 Jahre Elend und Tod." Sie sagt das sehr nüchtern. Das Nüchterne aber ist ihr Panzer, ihr Selbstschutz. Sie zieht ganz sachlich Rückschlüsse Eine Supervision gab es während ihrer Dienstzeit bei der Polizei nicht für sie. Alleine musste sie klarkommen mit all den Opfern. Und so wurde sie abgeklärter, unterschätzte aber auch, was ihr Körper aus all dem Erlebten machte. &bdquo;Mit jedem dieser Eindrücke kratzt man auch ein wenig an sich selbst." Noch heute kann sie etliche Namen von Kindern nennen, die besonders heftige Unfälle hatten, Kinder, die starben, die dramatische Spätfolgen haben, aber auch Kinder, die Helme trugen und gefühlt wie durch ein Wunder überlebten. Viele Helme hat sie zu Hause bei sich aufbewahrt, zu jedem kann sie die passende, dramatische Geschichte erzählen – immer mit äußerlich kühler Distanz, meist wissenschaftlich unterlegt mit Analysen der Kräfte, die wie wo wann aufgetreten sind. Sie zieht ganz sachlich Rückschlüsse. In ihrem Berufsleben gewann sie unterschiedlichste Erkenntnisse. Eine: Dinge, die zu verhindern sind, sollten verhindert werden – so kam Ellen Haase zum Thema Fahrradhelm. Ihn zu tragen, dafür warb sie bundesweit. Sie diskutierte mit Dieter-Thomas Heck und traf auf Helmut Kohl, sie schaffte es mit ihrer klaren Haltung in die Medien – vom TV-Kinderformat &bdquo;Die Sendung mit der Maus" über das Jugendmagazin Bravo bis hin zu den überregionalen Zeitungen und ins Fernsehen. Sie wirbt weiter auf vielen Ebenen für den Helm Sie schaffte es, großen Herstellern Kompromisse abzuringen – so setzte Aldi auf ihren Druck hin bei den Lieferanten reflektierende Materialien auf Tornistern durch. Haase musste auch eine andere Erkenntnis akzeptieren: Ihr Körper und ihre Seele sagten vor Jahren, dass es genug sei mit der permanenten Konfrontation mit Tod und Elend. Sie musste sich zurücknehmen, es kam der frühzeitige Abschied. Sie, die Preise über Preise erhielt, musste abbremsen. Aber nicht stoppen. Das Thema lässt sie nicht los. Sie wirbt weiter auf vielen Ebenen für den Helm – oder sie liefert die Begleitmusik, die zum Helm führen soll. Sie entwarf eine Kontra-Kälte-Kollektion, die das Helmtragen auch an kühlen Tagen komfortabler macht. Sie ließ reflektierende Bänder nähen. Sie brachte die NW dazu, immer wieder Fahrradhelme für kleines Geld zu verkaufen. Sie entwarf reflektierende Reißverschluss-Anhänger, sie bietet Pedelec-Kurse über die Verkehrswacht Bielefeld an, sie ging in Schulen, sie warb auch schon mit Frisören für &bdquo;helmgerechte Frisuren". Motto: &bdquo;Haare sind Deko, Hirn ist Denken." Und: &bdquo;Die letzte Frisur macht der Bestatter." Klartext also. So wie immer bei Ellen Haase. Sie war es, die harte Plakate durchsetzte, Plakate, mit der die Hannelore-Kohl-Stiftung an die Öffentlichkeit ging. Da war nichts mit subtilem Mahnen oder so – nein, die Plakate zeigten realitätsnah und nach einem echten Kinderunfallfoto fotografiert ein Kind mit zertrümmertem Schädel in einer Blutlache. Auch für Schockvideos – gerichtet an Autofahrer – setzte sie sich ein. Klartext eben. Ellen Haase ist direkt. Was falsch ist, ist falsch.So wie damals, als ein Staatssekretär sie bei einem Fahrradhelm-Pressefoto unterstützen wollte, den Helm aber nicht korrekt trug. Ohne viel Federlesen zu machen rückte Haase ihm den Helm zurecht – und er kniete dabei vor ihr nieder. Haase: &bdquo;Es geht nun einmal um einen Airbus voller Menschen – nur stürzen diese 400 Leute aus zwei Metern Höhe ab." Oft fehlten ihnen auf dem Kopf &bdquo;nur 18 Millimeter Styropor – als Lebensretter". Persönliches Ellen Haase ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie erhielt für ihren Einsatz etliche Preise, so 2010 den &bdquo;Roten Ritter" der Kinderunfallhilfe, 2012 erneut den &bdquo;Roten Ritter". 2013 den Preis der Seniorenliga, 2015 den Preis &bdquo;Eine besondere Frau" der Hannelore-Kohl-Stiftung und 2018 den &bdquo;Ehrenritter" der Kinderunfallhilfe; zudem war sie 2018 für den Deutschen Engagement-Preis nominiert. Fahrradhelme sind ihr Thema, aber nicht nur: In ihrer Heimat Gadderbaum, Bielefeld, OWL engagierte sie sich auf vielen Ebenen: so im Freibadförderverein, als Bodelschwinghschulen-Fördervereinsvorsitzende, auf dem Weihnachtsmarkt, als Familienpatin beim Kinderschutzbund, in der Kleiderkammer, bei Upcycling-Workshops, im Frauenclub &bdquo;Soroptimist", in der Lehrerfortbildung, über &bdquo;fahrradhelm-macht-schule.de", in der Notfallbegleitung, in der Kinderklinik.

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