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Gang durch das Wasser: Helfer geleiten Flüchtlinge vom Boot an Land, wo sie trockene Kleidung erhalten. - © Jan Erdl
Gang durch das Wasser: Helfer geleiten Flüchtlinge vom Boot an Land, wo sie trockene Kleidung erhalten. | © Jan Erdl

Mytilene/Gütersloh Lesbos-Tagebuch (4): Jubel und Trauer liegen nah beieinander

Jan Erdl berichtet für die NW von seiner Arbeit als Flüchtlingshelfer in Griechenland

07.01.2016 | Stand 08.01.2016, 11:59 Uhr

Mytilene/Gütersloh. 9 Uhr morgens in Mytilene: Nach einer stürmischen und anstrengenden Nachtschicht haben wir noch ein bisschen im Auto schlafen können. Dann ging es am nächsten Morgen völlig übermüdet in die nahe gelegene Inselhauptstadt Mytilene, um wichtige Besorgungen zu erledigen.

Wir konnten seit zwei Tagen keine warmen Mahlzeiten in unserem Hotelzimmer zubereiten. Also mussten ein Campingkocher und ein Topf her. Nachdem das erledigt war, sind wir mit immer stärker werdenden Müdigkeitserscheinungen zurück nach Molyvos zu unserem Hotel gefahren.

Boot mit 200 Menschen an Bord steuert auf die Küste zu

Eigentlich hatten wir geplant, uns hinzulegen. Doch bei unserer Ankunft informierten uns unsere Nachbarn, Beobachtungsposten der "Drop in the Ocean"-Organisation, dass ein größeres Boot mit circa 200 Menschen an Bord auf die Nordküste direkt vor unserem Hotel zusteuerte.

Zusammen mit dem jungen Paar aus Norwegen haben wir die Lage mit Ferngläsern von unserem Hotel aus beobachtet und Informationen zur Position und Anzahl der Menschen per Handy an verschiedene Gruppen weitergeleitet. Kurze Zeit später trafen die spanischen Lifeguards, eine der aktivsten Ersthelfergruppen, sowie Mitarbeiter der Sea Watch Organisation, die das Boot zu einer sicheren Anlagestelle eskortieren sollten, ein.

Glücklicherweise war die See sehr ruhig, so dass alles ohne Komplikationen ablief. Der Schlafmangel wurde zur Nebensache und so haben wir uns sofort mit unserem norwegischem Helfer ins Auto gesetzt und sind zum Brennpunkt gefahren, um bei der Rettungsaktion zu helfen.

Als wir ankamen, war die Aktion schon in vollem Gange. Weil es keinen Steg gab, formten Helfer einen Gang vom Boot zum Ufer, durch den die Flüchtlinge sicher durch das Wasser geleitet wurden. Als die letzte Person das Boot verlassen hatte und alle an Land waren, brach spontaner Jubel aus.

Viele Tote an der türkischen Küste

Alle haben es ohne Verletzungen geschafft. Die nassen Klamotten wurden sofort durch trockene eingetauscht. Möglich gemacht wurde dies auch durch deutsches Engagement, denn ohne Spenden wie diese, müssten die Menschen ohne Schuhe und trockene Klamotten bei 6 Grad den Weg in die Erstaufnahme-Camps antreten. Dass Bootlandungen auf Lesbos nicht immer so unkompliziert ablaufen wie diese, wird uns klar, als wir nach der Aktion entkräftet im Bett liegen und eine Meldung auf dem Smartphone erhalten: Seit gestern Nacht sind über 30 Leichen an der türkischen Küste angespült wurden. Eine traurige Bilanz nach diesem Sturm.

Die vorausgegangenen Teile unseres Lesbos-Tagebuchs finden Sie hier:
Teil 1: Zwei Gütersloher leisten Flüchtlingshilfe am Mittelmeer
Teil 2: Ankunft auf der Insel
Teil 3: Ersthilfe bei der Bootslandung