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BIELEFELD Pastor Pohl "Das trifft uns ins Herz"

Der Vorstand der Stiftungen Bethel im Interview zur geplanten Neonazi-Demo in Bielefeld

21.12.2011
Pastor Ulrich Pohl. - © FOTO: REIMAR OTT
Pastor Ulrich Pohl. | © FOTO: REIMAR OTT

Was sagen die Stiftungen Bethel in Bielefeld zum geplanten Aufmarsch der Neonazis an Heiligabend? Matthias Bungeroth fragte den Vorstandsvorsitzenden, Pastor Ulrich Pohl.

Pastor Pohl, Bielefeld gilt als Hauptstadt der Diakonie. Was bedeutet für Sie ein Aufmarsch der Neonazis hier an Heiligabend?
ULRICH POHL: Das trifft uns natürlich ins Herz. Ein Beispiel aus den letzten Wochen: Eltern berichten mir, dass sie mit einem behinderten Kind eingekauft haben. Ein Mann kam auf sie zu und sagte: Gehen Sie mal mit dieser Missgeburt aus dem Geschäft. Eine Verkäuferin, die das mitgehört hat, hat diesem Kerl unverzüglich Ladenverbot erteilt. Für uns ist der nationalsozialistische Geist und die Frage des Umgangs mit behinderten Menschen elementar. Das Leben in Vielfalt ist für uns eine Kernfrage. Das wird von diesem Geist der Neonazis bestritten.

Bethel hat zur Zeit des Dritten Reiches behinderte Menschen vor Übergriffen durch die Nazis bewahrt. Was können die Stiftungen Bethel heute tun, um hier Flagge zu zeigen?
POHL: Der junge Bodelschwingh hat ja schon das Kategorisieren der behinderten Menschen abgelehnt und damit wahrscheinlich verhindert, dass diese Menschen hier deportiert und ermordet worden sind. Ich glaube, das ist für uns heute Verpflichtung, überall dort die Stimme zu erheben, wo man Minderheiten in die Ecke drängt und wo der Wert menschlichen Lebens in jeder Form an irgendeiner Stelle bestritten wird.

Setzt die Kirche genügen Zeichen gegen den rechten Extremismus?
POHL: Vor ein paar Wochen hätte ich noch gesagt: ja. Aber ich hätte mir nicht vorstellen können, nachdem wir diese schrecklichen Ereignisse aus Norwegen gehört haben, dass bei uns nationalsozialistischer Untergrund Menschen ermordet hat und wir haben es – jedenfalls öffentlich – überhaupt nicht registriert. Das hat uns hier sehr erschüttert. Da müssen wir uns selbstkritisch fragen: Haben wir genug getan?

Werden die Stiftungen Bethel an den Gegendemonstrationen am Samstag teilnehmen?
POHL: Ich weiß, dass ganz viele Menschen aus Bethel mit dabei sein werden, bis in den Vorstand hinein. Nun ist Heiligabend ein besonderer Tag, wo man nicht erwartet, das man so etwas hier in Bielefeld erleben muss. Umso wichtiger ist es, Flagge zu zeigen.

Gibt es Ihrer Ansicht nach in OWL ein Klima der Angst gegenüber radikalen Kräften, oder sehen Sie ausreichend Zeichen für Zivilcourage?
POHL: Ein Klima der Angst nehme ich nicht wahr, eher ein Klima des Trotzes und der Notwendigkeit, sich zusammenzuschließen. Alle demokratischen Kräfte zeigen eindeutig Flagge, das ist eine gute Erfahrung. Wir dürfen uns von Neonazis auch nicht einschüchtern lassen.