
Bielefeld. Im Fall von Paula gibt es mittlerweile sich deutlich widersprechende Positionen: Sagen Eltern und Kind, dass sie geschlagen wurde, bestreitet Schulleiterin Andrea Prochnau das unter Verweis auf vier Schüler als Zeugen auf dem Schulhof. "Das gab es nicht, sie wurde nur an den Haaren gezogen." Wie es zu Schädelprellungen und Schürfwunden am Kopf gekommen ist, kann sie sich nicht erklären.
Zudem bestreitet Prochnau, dass die Eltern jemals zuvor zu ihr Kontakt aufgenommen hätten, um über Mobbing zu sprechen. Erst nach dem Vorfall am Montag sei der Vater emotional aufgewühlt erschienen. "Ich habe gesagt, dass ich keine Zeit habe, er hat sofort losgebrüllt - und vor Schülern lasse ich mich nicht anbrüllen." Das Angebot, sich einen Termin geben zu lassen, habe der Vater abgelehnt. Sie halte den Vorfall für "aufgebauscht".
Wütend und enttäuscht reagieren darauf die Eltern: "Es ist unverschämt, jetzt der Paula als Opfer auch noch den schwarzen Peter zuzuschieben", heißt es, und: "Die Sekretärin weiß sehr gut, dass Paulas Mutter zu einem Gespräch bei Frau Prochnau war - dort hat sie gesagt, dass die Sicherheit von Paula beeinträchtigt ist und um Schutz gebeten." Fakt sei: "Wir waren natürlich auf dem Schulhof nicht dabei, glauben aber unserer Paula." Beide warteten noch immer auf einen Anruf von Prochnau. "Unsere Tochter hat eine Schädelprellung - und das soll vom Haareziehen kommen?"
Gestern kamen zwei Bosseschüler in die Redaktion. Sie hätten den Vorfall erlebt: Erst sei Paula so an den Haaren gezogen worden, "dass Büschel rausgerissen waren", dann, wenige Meter vor der Schule, sei sie von denselben Mädchen geschlagen worden. Einer der beiden sagt auch, er sei auf dem Flur gewesen, "als die Eltern Frau Prochnau sprechen wollten - "sie hat die nicht angehört", in derber Sprache sollen die Eltern rausgeworfen worden sein. Es sei, auch aus Sicht vieler Lehrer, ein Problem, dass Prochnau "einfach nicht sehen will, was hier an der Schule alles passiert".
Unabhängig vom Konflikt an der Bosseschule, in dem unter www.nw-news.de in Kommentaren härteste Vorwürfe vor allem gegen die Schulleiterin erhoben werden, ordnet die Sprecherin der Bielefelder Realschulen, Evelyn Molle, das Thema ein: "An jeder Bielefelder Schule gibt es solche Vorfälle, das beginnt schon in der Grundschule."
Polizei-Mobbing-Experte Lothar Rösler sagt: "Das geht quer durch die Schulen, durch das Internet hat das Thema eine ganz andere Dimension." Das sogenannte Cyber-Mobbing sei kein Dummer-Junge-Streich, warnt er. Viele Kleinigkeiten seien "in der Summe heftig" für die Betroffenen. Über das vom Land ausgezeichnete Projekt "Surfen mit Sinn" versucht der Sozial- und Kriminalpräventive Rat der Stadt Bielefeld dagegenzuhalten (www.surfen-mit-sinn.de)
Evelyn Molle lobt dieses Projekt, sie weiß aber auch: "Ein Problem ist die enorme Geschwindigkeit der Dinge im Internet - schnell gerät da etwas außer Kontrolle." Sie lege für jede Schulleitung die Hand dafür ins Feuer, dass es eine sehr hohe Gesprächsbereitschaft beim Thema Mobbing mit Eltern gebe. Sie sagt aber auch: "Manchmal schätzt man Situationen nicht richtig ein, das ist menschlich." Schule sei in dieser Zeit damit konfrontiert, sich sogar den Freizeitthemen widmen zu müssen, auch, weil sie in den Ganztag dränge. "Das ist ein neues Handlungsfeld, dem müssen wir uns stellen."
Beim Thema Cyber-Mobbing sei jede Schule unterschiedlich weit, fest stehe aber: "In allen Kollegien wird das oft diskutiert - wir werden aber immer wieder über neue Strategien nachdenken müssen." Von Lehrern als Internetspionen hält sie wenig, "es gibt aber einzelne Kollegen, die da unerkannt unterwegs sind".
NW-Leser Hans-Ulrich Vogler hat ebenfalls mobbingartige Zustände bei seinem Sohn erlebt, er sagt: "Für mich ist das ein originäres Feld für Schulpflegschaften und Schülervertretungen." Er fordert wenig Toleranz, kritisiert das System Schule: "Es hat nicht begriffen, dass die Schüler andere sind als vor 20 Jahren." Lehrer seien heute weit stärker gefordert, auch am Nachmittag und in den Schulferien.