Bielefelder Polizeipräsidentin verlässt Behörde: „Ich habe mir das nicht gewünscht“

Frau Müller-Steinhauer, Sie verlassen nächste Woche das Polizeipräsidium Bielefeld. War ihr Weggang lange geplant? Und warum geben Sie die Position ab? Sandra Müller-Steinhauer: Ich gehe schweren Herzens. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich gerne die eine Position behalten und die andere dazunehmen. Ich hatte selber nicht den Wunsch, mich zu verändern. Als die Anfrage kam, mich dem Auswahlverfahren zu stellen, fiel meine Entscheidung nach reiflicher Überlegung. Denn ich bin ein neugieriger Mensch. Ich nehme immer wieder neue Herausforderungen an. Das erklärt vielleicht auch, dass ich hierzu nicht &bdquo;Nein“ gesagt habe. Sitzen Sie damit plötzlich zwischen den Stühlen? Müller-Steinhauer: Nein, überhaupt nicht. Die Arbeit der Staatsanwaltschaft kenne ich gut – dort habe ich jahrelang gearbeitet. Der Wechsel ist für mich keine Abkehr, sondern eine konsequente Weiterentwicklung meiner vorherigen Aufgabe. Ich sitze nicht &bdquo;zwischen den Stühlen“, sondern auf der &bdquo;Bank der Strafverfolgung“ – mit einem breiteren Blick auf Polizei und Justiz, den ich weiter nutzen möchte. Was genau hat Ihren Blick in den drei Jahren als Polizeipräsidentin erweitert? Müller-Steinhauer: Ich habe einen viel besseren Blick auf Arbeitsbelastung bei der Polizei bekommen. Und auf den zweiteiligen Ansatz – Repression und Prävention. Die Prävention wird mir fehlen, denn bei der Staatsanwaltschaft bin ich dann bei einer vor allem repressiv arbeitenden Behörde. Worauf werden sie in der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft Wert legen? Müller-Steinhauer: Wichtig sind mir verzahnte Abläufe, damit wir Massendelikte nicht &bdquo;am Fließband“, sondern fokussiert bearbeiten können. Es gibt Verfahren, in die man sehr viel Herzblut und die volle Arbeitskraft reinstecken muss. Dann gibt es Verfahren, da kann man die Ermittlungen schlanker halten. Aber für die Bürgerinnen und Bürger ist es so unheimlich wichtig, dass genau in diesen Verfahren Strafverfolgung genauso funktioniert. Und da leiden wir unter einer immens hohen Arbeitsbelastung auf beiden Seiten. Und ich habe die jetzt auch auf dieser Seite kennengelernt. Das wird mir auch auf der anderen Seite viel bringen. Viele waren enttäuscht, als Ihr Wechsel bekannt wurde. Können Sie das verstehen? Müller-Steinhauer: Ja, klar. Ich habe mir ja selbst die Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich fühle mich nach drei Jahren hier verwurzelt. Wenn Mitarbeitende und die Öffentlichkeit sagen &bdquo;Schade, dass sie geht“, kann ich mich darüber freuen. Wenn alle sagen würden &bdquo;Gut, dass sie weg ist“, wäre das deutlich schlimmer. Ich nehme nicht mehr in Anspruch als das, was meine Mitarbeitenden im Präsidium auch immer wieder tun: Nämlich neugierig bleiben, wissbegierig bleiben und sich auch mal verändern wollen. Dabei gab es zuletzt Erfolgsmeldungen. Nach bedenklichen Zahlen bei der Straßen- und Gewaltkriminalität im Sommer 2024 haben Sie im September die Soko Innenstadt ins Leben gerufen. War das ein polizeilicher Erfolg? Müller-Steinhauer: Die Soko Innenstadt ist für mich ein klares Erfolgsprojekt. Das war mir persönlich ein ganz wichtiges Anliegen, dass wir unseren Behördenschwerpunkt &bdquo;Sicherheit in der Bielefelder Innenstadt“ noch deutlicher leben und noch deutlicher fokussieren. Heute ist die Soko schon längst aus den Kinderschuhen raus und wir haben sie deshalb auch um mindestens ein weiteres Jahr verlängert. Mehr zum Thema: Kriminalitäts-Hotspots in OWL: Erfolge in Bielefeld – Szene zieht in Nachbarstädte Kann man Ihre Zufriedenheit auch mit Zahlen belegen? Die Soko hat (Stand: 5. November) seitdem rund 4,45 Kilo Marihuana, 525 Gramm Haschisch sowie 310 Gramm Kokain beschlagnahmt. Das sind rund 5.000 Verkaufseinheiten für Marihuana und Haschisch sowie gut 900 Bubbles Kokain. Außerdem haben wir den Dealern 40.000 Euro Bargeld abgeknöpft. Das finde ich schon sehr eindrucksvoll. Bei Personenkontrollen haben wir 59 Messer aus dem Verkehr gezogen, fünf Schusswaffen und 13 sonstige Waffen. Hinzu kommen noch 236 &bdquo;waffenähnliche Gegenstände“. Was ist das? Müller-Steinhauer: Gemeint ist damit etwa der einzelne Flügel einer Schere oder ein Korkenzieher. Die fallen nicht unter das Waffengesetz, sind aber nichtsdestotrotz gefährliche Stichwerkzeuge. Die wollen wir alle nicht auf der Straße haben. Hatte das auch einen Effekt in der Dealer- und Drogenszene? Müller-Steinhauer: Unser konsequentes Vorgehen hat die Menschen erreicht. Die Soko hat 18 Personen in Untersuchungshaft genommen. Die waren damit von der Straße verschwunden. Außerdem wurden 60 offene Haftbefehle vollstreckt. Hinzu kommen 14 Abschiebehaftbefehle, die durch die Kontrollen vollstreckt werden konnten. 134 Personen kamen zumindest vorübergehend in Gewahrsam. Die Soko hat 596 Strafverfahren eingeleitet und 168 Ordnungswidrigkeitenverfahren. All das ist in der Szene angekommen und hat sie verändert. Die einen verschwinden im Strafvollzug, und für andere ist es möglicherweise nicht mehr so attraktiv, den Tag an den Bielefelder Treffpunkten abzuhängen und dort Straftaten zu begehen. Das ist schon ein guter Nebeneffekt und das kommt bei den Bürgerinnen und Bürgern gut an. Auch interessant: Innenminister ist Fan der &bdquo;kleinkarierten“ Polizeirazzia gegen die Bielefelder Drogenszene Ist denn auch die Gewaltkriminalität in der Innenstadt zurückgegangen? Müller-Steinhauer: Die Straßenkriminalität hat im August 2025 im Vergleich zum Vorjahr um 42 Prozent abgenommen, die Gewaltkriminalität ist um 26 Prozent gesunken. Das sind genau die Bereiche, in denen wir vorher größere Anstiege hatten. Ein positiver Trend, weil wir hier die gesetzlichen Spielräume konsequent genutzt haben. Hat die Polizei vor Gründung der Soko diese Spielräume nicht richtig genutzt? Müller-Steinhauer: Stellen Sie sich einfach mal unseren Wach- und Wechseldienst vor. Der ist überwiegend in Einsätzen gebunden. Und wenn ich denen dann sage, jetzt müsst ihr noch zwei Stunden Präsenz in der Innenstadt zeigen und dann kommt ein Einsatz rein. Dann können die doch nicht sagen, wir müssen jetzt auf dem Kesselbrink patrouillieren, wenn irgendwo die Anwesenheit der Polizei viel notwendiger ist. Die Soko ist davon entbunden und kann sich ohne diesen immensen zeitlichen Druck darum kümmern. Dann gibt es neuerdings auch eine Waffen- und Messerverbotszone in Bielefeld. Viele sagen: Die Kriminellen halten sich doch ohnehin nicht an das Verbot. Was bringt die? Müller-Steinhauer: Sie erlaubt anlasslose, rechtssichere Kontrollen in klar definierten Bereichen – natürlich ohne &bdquo;Racial Profiling“ und mit den bekannten Ausnahmen, etwa für Gastronomie. Das ist mir sehr wichtig: Jeder verbotene oder gefährliche Gegenstand weniger auf der Straße erhöht die Sicherheit und setzt ein klares Signal. So eine Waffenverbotszone ist erst vollständig mit einer Beschilderung. Bis heute weiß kein Bürger, wo genau er sich in so einer Zone befindet. Wann kommen die Info-Schilder? Müller-Steinhauer: Die Schilder kommen in Kürze. Aber die Zone ist ja ungeachtet der Schilder schon wirksam. Bei der Definition des Bereichs müssen zwei Stellen noch ausgeschärft werden. Dazu warten wir auf eine Änderungsverordnung im Gesetz- und Verordnungsblatt. Darauf haben wir aber keinen Einfluss. Das ist Sache des Innenministeriums. Lesen Sie auch: Bielefelder Innenstadt wird Waffenverbotszone: Das sind die Details Welche aktuellen Herausforderungen übergeben Sie an Ihre Nachfolge? Müller-Steinhauer: Wir haben weiterhin Herausforderungen im Umgang mit der Gewalt- und Straßenkriminalität – den aufgebauten Druck in der Innenstadt müssen wir halten. Zweitens: Zuletzt hatten wir steigende Zahlen beim sexuellen Missbrauch von Kindern. Das Gute: Die Ermittler sind in diesem Bereich sehr erfolgreich: Wir haben eine Aufklärungsquote von über 90 Prozent. Drittens: Kinderpornografie – hier werden wir mit enormen Datenmengen konfrontiert. Das bedeutet viel Arbeit, hier werden wir technisch und mit Blick auf Künstliche Intelligenz weiter aufrüsten müssen. Viertens: Ein ganz wichtiges Thema ist für mich die Kinder- und Jugendkriminalität. Hier hatten wir immer wieder mit Höchstständen zu tun – bei Kindern, Jugendlichen und auch bei Heranwachsenden. Vor allem weil es sich oft nicht um pubertäre und episodenhafte Taten handelte, entstanden teilweise frühe kriminelle Karrieren, die uns über Jahrzehnte weiter beschäftigen. Das sind Problemfälle, um die wir uns kümmern müssen als Polizei, um die sich das Jugendamt kümmern muss und um die sich die Strafverfolgung kümmern muss. Deshalb ist eines meiner Anliegen, mit dem ich hier in Bielefeld gestartet bin, weiterhin ein ganz wichtiges: Wir brauchen ein Haus des Jugendrechts. Die Pläne sind lange bekannt. Wann startet die Kooperation von Jugendamt, Polizei und Staatsanwaltschaft in ihrem neuen Gebäude am Boulevard? Müller-Steinhauer: Die Abstimmung zum Eröffnungstermin läuft bereits. Voraussichtlich Anfang kommenden Jahres geht es los. Virtuell sind wir mit der Zusammenarbeit aber schon jetzt gestartet: Wir arbeiten bereits bei Fallkonferenzen eng miteinander, stecken bereits die Köpfe zusammen. Bundeskanzler Friedrich Merz hat eine viel kritisierte Debatte mit dem Begriff &bdquo;Stadtbild“ angestoßen. Es geht um das Gefühl, sich nicht mehr sicher zu fühlen. Auch in Bielefeld haben wir eine bestimmte Klientel, die immer wieder negativ auffällt und bei der einige sagen: &bdquo;Die wollen wir hier nicht haben“. Wie stehen Sie zu der Debatte? Müller-Steinhauer: Ich finde es schon mal positiv, dass Sie nicht nur gesagt haben: &bdquo;Was halten Sie von der Stadtbild-Diskussion?“ Sie haben versucht, Inhalte damit zu verbinden. Das ist für mich das ganz Maßgebliche. Wir streiten uns so oft über Begrifflichkeiten und am Ende geht es gar nicht mehr um den Inhalt. Begriffe polarisieren – wichtiger sind aber die Inhalte: Der Punkt, dass Menschen sich nicht mehr sicher fühlen, ist mir von Anfang an als Polizeipräsidentin begegnet. Deshalb haben wir uns um die &bdquo;sichere Innenstadt“ gekümmert, auch zusammen mit anderen Akteuren. Wir können das als Polizei nicht alleine lösen. Anfangs ging es für mich mehr um das Sicherheitsgefühl. Mehr und mehr ging es aber durch den Anstieg der Deliktzahlen auch um die objektive Sicherheit. Und das ist und bleibt eine wesentliche Aufgabe der Polizei. Was missfällt Ihnen an der aktuellen Debatte? Ein Punkt hat mich in diesem Sinne an in Ihrer Frage gestört: Sie haben erwähnt, dass es um Menschen geht, &bdquo;die wir hier nicht haben wollen“ – so darf man es nicht formulieren. Eine Gesellschaft sollte getragen sein von gegenseitiger Toleranz und damit eben auch von Offenheit für Menschen, die anders leben als ich selbst. Das gehört für mich zwingend dazu und das ist auch ein maßgeblicher Grundpfeiler unserer Arbeit hier bei der Polizei, die ebenfalls ein Abbild der Gesellschaft ist. Wenn es um Kriminalität geht, sind wir als Polizei berufen, einzugreifen. Aber jeder, der sich an die Spielregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens hält, darf auch gerne anders leben. Menschen nicht haben zu wollen, finde ich falsch. Eine offene, vielfältige Gesellschaft lebt von Toleranz. Das gilt auch für die Polizei in Bielefeld. Die promovierte Juristin und langjährige Staatsanwältin Sandra Müller-Steinhauer verlässt das Polizeipräsidium mit ihrem letzten Arbeitstag am Freitag, 14. November. Nach dem Wochenende übernimmt sie dann sofort die Leitung der Staatsanwaltschaft Bielefeld. Bis die vakante Stelle für die Behördenleitung der Polizei Bielefeld neu besetzt ist, wird Kripochef Wolfgang Niewald diese Position als Stellvertreter der Polizeipräsidentin ausfüllen.

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