Unter Druck Video offenbart: AWO OWL steht das "Wasser bis zum Hals"

Bielefeld. &bdquo;Das ist ein gutes Signal“, sagt Nicole Krug. Am Freitagnachmittag teilte die Verdi-Gewerkschaftssekretärin mit, dass sie sich mit dem Vorstand des Bezirksverbandes der AWO OWL auf die Verhandlung eines sogenannten Sanierungstarifvertrags geeinigt habe. Erst am letzten Tag der abgelaufenen Frist stimmten der Vorstand samt seinem Aufsichtsgremium dem Angebot zu – und das hat es in sich: Damit ein Sanierungstarifvertrag überhaupt zustande kommen kann, muss das betroffene Unternehmen von der Gewerkschaft engagierten Wirtschaftsprüfern den Blick in die Bücher gewähren, um die Zahlen zu analysieren. Seit Monaten befindet sich der Bezirksverband OWL der Arbeiterwohlfahrt (AWO OWL) im Krisenmodus wegen der angespannten finanziellen Situation. Wie dramatisch die Zahlen tatsächlich sein müssen, offenbarte der Vorstandsvorsitzende Thomas Euler jetzt in einem internen Video für Führungskräfte, das der NW vorliegt. Der rund neun Minuten lange Film zeigt Euler im Gespräch mit dem Moderator Peter Stuckhard. In dem inszenierten Interview beantwortet Euler noch einmal die Fragen, die schon während der Betriebsversammlung vor einer Woche viel Furore unter den Mitarbeitern verbreitet hatten. &bdquo;Falsche Weichenstellung vor sechs, sieben Jahren“ Denn seit dem Ausscheiden der AWO OWL als Vollmitglied aus dem Arbeitgeberverband, um eine im vergangenen Dezember verhandelte Zulage für Erzieherinnen und Erzieher nicht zahlen zu müssen, sorgen sich viele Mitarbeiter um ihre Zukunft. In dem choreografierten Dialog zeigt Euler zwar Verständnis für die Sorgen der Mitarbeiter sowie ihre Enttäuschung über das Ausbleiben der Zahlung – doch anders als bei der Betriebsversammlung fallen vor der Kamera sehr drastische Worte: &bdquo;Uns steht das Wasser bis zum Hals“, beschreibt er die gegenwärtige Finanzsituation, denn es gebe keine Rücklagen, aus denen die fünf Millionen Euro für die Erzieher gezahlt werden können. So sei es unverantwortlich, das Geld trotzdem zu zahlen, denn die Folge davon könne sein, dass das Unternehmen anschließend Insolvenz anmelden müsse. Das könne ja auch nicht im Interesse der Belegschaft sein. Dabei spürt der Vorstand derzeit nicht nur Widerstand bei den Beschäftigten wegen des Umgangs mit der Krise, sondern auch bei den Kunden: Am Montag erreichte die Zentrale in Bielefeld ein Offener Brief, formuliert von zwei und unterschrieben von 44 Elternbeiräten von Kitas aus ganz Ostwestfalen. Die verunsicherten Eltern repräsentieren rund ein Drittel der AWO-Kita-Kunden. In ihrem Schreiben fordern sie gleich an erster Stelle ihres Fünf-Punkte-Kataloges den &bdquo;Abschluss eines Sanierungstarifvertrages und damit eine Prüfung der Bücher durch eine unabhängige Instanz, so wie es Verdi bis zum 3. Februar anbietet“. Treffen der Verdi-Mitglieder der AWO am 08. 02. Und genau das werde ab nächster Woche passieren, sagt Krug: &bdquo;Wir wollen jetzt schnell Termine machen mit den Wirtschaftsprüfern.“ Bis zum Redaktionsschluss gab es vom Vorstand der AWO OWL keine Reaktion auf die Einigung mit der Gewerkschaft über die anstehenden Verhandlungen. Auf einer Mitgliederversammlung am 8. Februar bei der AWO OWL soll dann das Konzept noch einmal im Detail vorgestellt werden. Von dem Ergebnis der Wirtschaftsprüfer werde schließlich abhängen, wie viel finanzieller Verhandlungsspielraum den beiden Tarifpartnern bleibe. Die Idee dahinter sei die Stabilisierung des Unternehmens ohne Einbußen für die Mitarbeiter. Wie das aussehen könnte, erklärte am Ende des internen Interview-Videos bereits Angela Lück. In ihrem Kurzauftritt sagt die Aufsichtsrats-Chefin und Präsidiums-Vorsitzende des Bezirksverbandes, dass die Beschäftigten anstatt der Zulage garantiert einen Urlaubstag mehr bekommen würden. Und ob sogar ein zweiter zusätzlicher freier Tag als Kompensation für den finanziellen Verzicht möglich sei, dazu werde noch gerechnet, spricht sie mit aufmunternden Tonfall das Schlusswort des Videos. Drei Einrichtungen verursachen Millionen-Defizit Euler identifizierte indes erstmals die Ursache der Finanzmisere. So habe es vor sechs, sieben Jahren falsche Weichenstellungen bei der AWO OWL gegeben. Diese hätten sich als nicht finanzierbar erwiesen. Während der Betriebsversammlung vor zwei Wochen hatte er den Anwesenden bereits die Millionen-Defizite der vergangenen Jahre aufgelistet. Im Erklär-Video nannte er nun die viel zu teuren Einrichtungen beim Namen: So hätten allein das Berufskolleg in Bielefeld, die Mutter-Kind-Klinik Schanzenberg und die zugekaufte Familienferienstätte Kajüte auf Langeoog zusammen jährlich eine Million Euro Verlust gemacht. Im letzten Geschäftsbericht aus dem Jahre 2020, in dem von Defiziten allein bei der Mitgliederentwicklung die Rede ist, galten die beiden letztgenannten Einrichtungen noch als positive Beispiele für die Abteilung Gesundheit und Soziales. Externe Prüfer werden sich diese Zahlen nun genau anschauen.

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