Finanzkrise bei der AWO Riesen-Andrang in Bielefeld: Tausende Mitarbeiter bei der AWO-Betriebsversammlung

Bielefeld. Für 300 Besucher standen am Donnerstagmorgen Stühle bereit im großen Saal des Kuks in Sieker – doch doppelt so viele Beschäftigte des Bezirksverbandes der Arbeiterwohlfahrt Ostwestfalen Lippe (AWO OWL) kamen zu der Sonder-Betriebsversammlung. Wer nicht persönlich vor Ort sein konnte, schaltete sich per Livestream zu. Auf die Weise seien weitere 2.000 Mitarbeitende live dabei gewesen, schätzt Nicole Krug von Verdi. Gemeinsam mit dem Betriebsrat hatte die Gewerkschaftssekretärin zu der Veranstaltung eingeladen, nachdem der AWO-Vorstand zu Beginn des Jahres für die Mitarbeitenden völlig überraschend aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten war. Als Anlass benannten die beiden Vorstände Thomas Euler und Benjamin Kramer das fehlende Geld zum Zahlen einer tariflich kurzfristig vereinbarten Zulage für Erzieherinnen und Erzieher in Kitas – die dafür notwendigen fünf Millionen Euro könne die AWO nicht zahlen. Der Austritt bedeutet eine Tarifflucht, denn in den kommenden Wochen stehen die Verhandlungen an für einen neuen Tarifvertrag, der alte endet am 31. Mai. Da Verdi mit Forderungen um die 10 bis 15 Prozent bei der Post oder im öffentlichen Dienst in die Verhandlungen geht, verabschiedete sich der Bezirksverband offenbar vorsorglich aus dem Arbeitgeber-Gremium der AWO. Erstmals öffentlich wurde die als &bdquo;finanzielle Schieflage“ titulierte Situation erstmals im Sommer 2022. &bdquo;Am vergangenen Freitag haben wir dem Vorstand vorgeschlagen, einen Sanierungstarifvertrag abzuschließen“, berichtete Krug im Anschluss an die nicht öffentliche Veranstaltung. Das Modell habe sie auch den Beschäftigten auf der Betriebsversammlung erklärt: Bei Annahme des Angebots gewähre die Geschäftsführung einem externen Wirtschaftsprüfer Einblick in die Bücher, und auf der Basis würde über einen Tarifvertrag verhandelt, der allerdings bestehende Konditionen nicht unterlaufe. Als Ursachen für die kritische Finanzsituation identifizierten der AWO-Vorstand und das Präsidium die Politik Da sich Vorständler Benjamin Kramer krankheitsbedingt entschuldigen ließ, er war in der Vergangenheit mit für die Finanzen des Unternehmens verantwortlich, übernahm sein Vorstandskollege Thomas Euler den Part und präsentierte dem Publikum die einschlägigen Diagramme mit der Umsatzentwicklung, Gewinnen und Verlusten sowie der Personalstärke. So verzeichnete die gemeinnützige GmbH von 2010 bis 2018 noch jährlich Gewinne: in Summe sechs Millionen Euro. 2019 aber endete plötzlich mit einem Verlust von 1,2 Millionen Euro, der sich im Folgejahr auf dem negativen Niveau konsolidierte und sich abermals 2022 in genau der Höhe wiederholte, berichteten Teilnehmende. Als Ursachen für die kritische Finanzsituation identifizierten Euler und seine Präsidiums- sowie Aufsichtsratsvorsitzende Angela Lück - die Politik in den Kommunen und im Land, da es an einer entsprechenden Refinanzierung der Leistungen mangele. Dabei habe die ehemalige Landtagsabgeordnete vor den Versammelten sehr emotional von schlaflosen Nächten berichtet ob der traurigen Umstände. In einer dieser Nächte muss ihr dann die Idee gekommen sein, dass alle gemeinsam nach Düsseldorf fahren, zu ihrer alten Wirkungsstätte, um dort bei der nächsten Sitzung des Sozialausschusses zu demonstrieren. Und Verdi solle die Demo organisieren, weil die Gewerkschaft das ja gut könne. Frist für Sanierungstarifvertrag von Verdi läuft am 3. Februar bei der Arbeiterwohlfahrt aus &bdquo;Wir hätten uns darüber gefreut, hätte der Vorstand unseren Vorschlag eines Sanierungstarifvertrages angenommen“, sagte Nicole Krug und ließ die potenzielle Demo unkommentiert. So haben Benjamin Kramer und Thomas Euler noch Zeit bis zum Freitag, 3. Februar, um sich für den Vorschlag von Verdi zu entscheiden, dann ende die Frist, sagte die Gewerkschaftssekretärin. Und einen dritten Vorstand werde es nun doch nicht geben, erklärte Lück noch, die auf der Position gerne eine Frau gesehen hätte. In der Einladung hatte noch Gabriele Stillger gestanden als Mitglied der Geschäftsführung und des Vorstandes, doch auch ihr Stuhl blieb am Donnerstag im Kuks leer. Befragte Teilnehmer meinten, dass die Betriebsversammlung mangels Transparenz mehr Fragen produziert denn Antworten gegeben hätte.

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