Bewegende Geschichte(n) Dieses Bielefelder Mädchen kannte Anne Frank - und wurde ebenfalls von Nazis ermordet

Bielefeld. Das Grauen taucht plötzlich im Alltag auf - in goldener Farbe. Auf dem Boden. 223 Stolpersteine erinnern mittlerweile in Bielefeld an Opfer der Nazis. Jeder spiegelt eine Geschichte, manche sind besonders aufwühlend, bedrückend, mahnend. So auch die von Ruth Albersheim und ihren Eltern Martha und Curt sowie jene von Johanna Lohn. Ihre Geschichte ist eine besonders typische für Bielefeld. Mit 27 Jahren wurde Johanna Lohn 1905 in der Anstalt Bethel aufgenommen, damit ihre Epilepsie behandelt werden sollte. Ihr Gesundheitszustand, so die aktuellen Recherchen der Fachhochschule, "besserte sich zunehmend". Dennoch wurde Johanna Lohn als "geisteskranke Jüdin" (nach einem Erlass des Innenministers) am 21. September 1940 aus der "deutschen Heil- und Pflegeanstalt" verbannt und nach Wunstorf gebracht. Mit ihr sieben weitere Patientinnen und Patienten. Lohn bat um Rückkehr nach Bielefeld, zu einer Bekannten nach Schildesche. Fünf Tage später wurde ihr das genehmigt, tags drauf wurden die anderen sieben Patienten in Brandenburg mit Gas getötet. Zwei Jahre später doch ermordet War Johanna Lohn also der Ermordung durch die Nazis knapp entgangen? Es schien so. Doch knapp zwei Jahre später wurde sie mit ihrer Bekannten nach Theresienstadt deportiert, im Mai 1944 dann nach Auschwitz verschleppt und dort dann im Alter von 65 oder 66 Jahren ermordet, so das Ergebnis der Recherche. Der Johanna-Lohn-Stein liegt jetzt in der Johannisstraße 23 in Schildesche, wo die beiden Frauen lebten. Nur 15 Jahre alt wurde Ruth Albersheim. Auch sie wurde in Auschwitz ermordet - genauso wie ihre Eltern. Vater Curt 47-jährig am 31. März 1944, Mutter Martha 41-jährig am 19. November 1943. Dass das Schicksal von Ruth und ihren Eltern jetzt öffentlich thematisiert und an das Drama mit den drei neuen Stolpersteinen an der Artur-Ladebeck-Straße 51 in Gadderbaum erinnert wird, hat maßgeblich mit Samira und ihrem Vater Frank Engel zu tun. Den Paten der Steine. Schülerin recherchiert intensiv Samira, 16 Jahre alt, durfte an der Laborschule ihre Jahresarbeit schreiben: "Mein Ziel war, etwas zu einem ermordeten jüdischen Mädchen im Alter von Anne Frank herauszufinden und mit einem Stolperstein an es zu erinnern", sagt Samira. Mit ihrer Lehrerin diskutierte sie die Idee, am Mahnmal am Hauptbahnhof entdeckte die Lehrerin den Namen Albersheim. Mit ihrem Vater stieß Samira dann auf den Namen Gadi Albersheim in Tel Aviv. Der Kontakt entstand, nun konnte zu Ruth und ihren Eltern Material aus Archiven und dem Internet und der Familie zusammengetragen werden. Zur Verlegung der Stolperstein waren Gadi Albersheim und fünf weitere Familienmitglieder am Mittwoch sogar anwesend. "Erstmals haben wir sie jetzt hier tatsächlich getroffen", berichtet Frank Engel sichtbar gerührt, "es ist schon verrückt, wie groß das Ganze jetzt geworden ist". Insbesondere die tragische Geschichte der kleinen Ruth, aber auch ihrer Eltern, rührt viele vor Ort an. Vater Curt dissertierte zum Thema "Die Urteilsbegründung im Strafprozess", war Rechtsanwalt. Ab 1933 wurde Juden diese Arbeit verboten, die Familie floh nach Amsterdam. Curt Albersheim arbeitete in der Auswanderungsabteilung des Judenrates (Emigration nach Palästina). Nähe zu Anne Frank Am 16. November 1943 aber wurde die Familie deportiert. Drei Tage später wurden Mutter und Tochter ermordet. Ruth war in ihrer Amsterdamer Zeit auf das Jüdische Lyceum gegangen, eine kleine Schule, die auch von Anne Frank (bekannt durch ihr Tagebuch) besucht wurde. Samira: "Ruth war eine Klasse über Anne Frank, sie kannten sich also ganz bestimmt." Ein prominentes Schicksal steht damit in einer Reihe mit einem bisher weitgehend unbekannten. Weitere Stolpersteine Weitere neu verlegte Stolpersteine erinnern in der Turnerstraße 11 an Siegfried Junkermann und seine Söhne Kurt und Hans - sowie in der Brandenburger Straße 7 an Cecilie und Karl Josef Henkel. Zudem wurde in der Oelmühlenstraße 15 ein korrigierter Stolperstein verlegt; für Karl Twesmann. Bisher stand auf dem Stolperstein "Flucht in den Tod", neuere Rechercheergebnisse legen aber nahe, dass es kein Suizid in der Zelle war, sondern Twesmann an Misshandlungen gestorben sein könnte. Deshalb, so Christine Biermann, Vorsitzende des Vereins "Stolperstein-Initiative Bielefeld", stehe nun auf dem Stein "unbekannt". Die Idee der Stolpersteine Das Verlegen von mittlerweile bundesweit fast 80.000 Stolpersteinen begann mit der Idee des Künstlers Gunter Demnig im Jahr 1992. In Bielefeld und mehr als 1.200 anderen Kommunen wird dafür öffentlicher Grund freigegeben. Anders in München, wo der Stadtrat sich dagegen entschied. Hier gibt es dennoch Stolpersteine, aber nur auf privatem Grund. Kritiker der Stolperstein-Idee lehnen die Steine ab, weil sie im Straßendreck an die Opfer der Nazis erinnerten. In Bielefeld werden die Steine immer wieder einmal geputzt und gesäubert, damit sie sich glänzend vom Grau der Umgebung - also auch dem Straßendreck - abheben. http://www.stolpersteine-bielefeld.de

Mehr zum Thema