Bielefeld Drei Vermisste in Bielefeld tot aufgefunden: Wie konnte es dazu kommen?

Bielefeld. Vier Tage nach dem Verschwinden eines 78-Jährigen aus der Kurzzeitpflege in Sieker machte am Montag ein Angler in Höxter die traurige Entdeckung: Der vermisste Mongi N. trieb tot in der Weser. Bereits im Juli verließ Gerhard P. sein Zuhause in Sennestadt, vier Wochen später fanden Spaziergänger die Leiche des 84-Jährigen im Wald, in diesem Fall nur wenige Kilometer entfernt vom ursprünglichen Wohnort. Ein ähnliches Schicksal ereilte die 84-jährige Margret N. aus dem Pflegeheim Ernst-Barlach-Haus in Sennestadt. Auch sie war erst vor kurzem in der Einrichtung eingezogen und hatte sich von dort aus auf den Weg gemacht zu einem einst vertrauten Ort aus der Vergangenheit. Das sei bei demenzkranken Vermissten das typische Verhalten, sagt Iris Brünger von der Polizei. Seit 30 Jahren widmet sie sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Kommissariat 11 der Suche nach Vermissten. Da seien zum einen die minderjährigen Jugendlichen oder erwachsene Patienten, die aus den verschiedensten Einrichtungen türmen würden – und dann die zunehmende Zahl an Demenz erkrankter Senioren, von denen viele körperlich viel fitter seien als oft angenommen werde, sagt die Hauptkommissarin. Richter muss einem Alarmsystem zustimmen Der Bewegungsdrang der Menschen heiße im Pflege-Jargon &bdquo;Lauftendenz“, sagt Birgit Vogelsang. Sie leitet das Ernst-Barlach-Haus in Sennestadt, das Margret N. im September verlassen hatte und nicht mehr zurückkehrte. Die 84-Jährige habe erst dreizehn Tage in dem Pflegeheim gelebt, als sie an einem Sonntagnachmittag das Haus verlassen konnte. Technisch wäre es kein Problem gewesen, die ältere Dame mit einem dezenten Alarmsystem zu sichern, das sei in den meisten Häusern längst gängige Praxis – dafür aber bedürfe es vorab der Zustimmung eines Richters. Denn die Ausstattung mit einer signalgebenden Uhr oder einem alarmauslösenden Pieper zähle zu den freiheitsentziehenden Maßnahmen, die erst autorisiert werden müssten, da dürfe die Einrichtung nicht von sich aus handeln im Sinne der Prävention. Um das hohe Gut der individuellen Freiheit nicht zu gefährden, kompensieren viele Einrichtungen das Risiko mit speziellen Gärten und Labyrinthen, um dem Bewegungsdrang der kranken Bewohner gerecht zu werden. Entwischt trotzdem jemand, zähle jede Stunde, sagt die Hauptkommissarin. &bdquo;Zuerst wird im Haus wirklich alles abgesucht, wir hatten schon Fälle, da lagen die Gesuchten in fremden Betten oder saßen in den entlegensten Winkeln.“ Sind die Gesuchten draußen unterwegs, zählt jede Stunde, denn pro Stunde bewältigen die Senioren oft locker Strecken zwischen einem und zwei Kilometern. Wisse dann niemand um die mögliche Richtung, kämen die Suchhunde zum Einsatz. Für die Aufnahme der Fährte brauchen sie von der Person getragene Kleidung, die nach Möglichkeit niemand sonst berührt hat. Zudem werde das Foto für die Fahndung, sofern vorhanden, fix veröffentlicht. Auch wegen der Schnelligkeit von Online-Medien und Radio sei die Suche in der Innenstadt dank vieler hilfreicher Hinweise meist erfolgreich – in den Außenbezirken gestalte sich die Suche entsprechend schwieriger. So geschehen an diesem Freitagnachmittag: Um kurz vor 15 Uhr veröffentlichte das Kommissariat die Fahndung nach einer Seniorin aus Schildesche. Die ebenfalls an Demenz erkrankte 88-Jährige hatte bereits gegen 11 Uhr ihre Bleibe in der Johanneswerkstraße verlassen und sich ohne Hörgeräte auf den Weg gemacht. Knapp zweieinhalb Stunden nach dem Aufruf erklärte die Polizei die Suche wieder für beendet – die alte Dame sei wohlbehalten in der Stadt angetroffen worden, hieß es in der Nachricht. Im Fall von Margret N. konnte der Spürhund, ein sogenannter Mantrailer, die Fährte bis zu einer Bushaltestelle in Sennestadt verfolgen. &bdquo;Vielleicht ist die Seniorin nur eine oder zwei Stationen gefahren und dann wieder ausgestiegen – wir wissen es nicht, denn auch keiner der Busfahrer konnte sich erinnern, was bei den unzähligen flüchtigen Begegnungen mit Fahrgästen völlig normal ist“, sagt Brünger. In kalten Nächten nur geringe Überlebenschance So sahen sich die Beamten mit dem schwersten Terrain konfrontiert, einem fast grenzenlosen Waldgebiet. Nächstes Handicap: In diesem mentalen Ausnahmezustand würden die Senioren mit aller Energie ihr Ziel ansteuern, sich dabei körperlich völlig verausgaben, auf dem Weg weder essen noch trinken. Dehydrierte und unterzuckerte Körper jedoch verändern ihren Geruch, was den freilaufenden Spürhunden die Arbeit erschwert. Seien die Senioren dann erschöpft, würden sie sich einfach hinlegen und schlafen – je kälter die Nächte, desto geringer die Überlebenschancen. Diese Tragik beendete die Leben von Margret N. und Gerhard P. Die Todesumstände von Mogni N. dagegen, und wie er in der kurzen Zeit nach Höxter gelangte, werden nie geklärt werden, die Ermittlungen in Höxter wurden eingestellt. &bdquo;Von einem Autohändler erhielten wir noch den Hinweis, dass sich der Senior bei ihm nach einem Bus erkundigt hatte – demnach wollte er wohl nach Kiel“, berichtet Hauptkommissarin Iris Brünger. Unter den jährlich rund 500 Vermissten in Bielefeld nimmt die Zahl der Senioren stetig zu – nur nicht der Schutz.

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