Pflastersteine als Gedenktafeln Bielefelder Frauenpreis: Christine Biermann nominiert - die Kämpferin gegen das Vergessen

Bielefeld. Sie sind ihr in Münster, Köln, Hamburg und Berlin zuerst aufgefallen - kleine pflastersteingroße Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteigen. Jeder Stein erinnert an einen Menschen, den das nationalsozialistische Regime verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben hat. Christine Biermann ist vor rund 20 Jahren im sprichwörtlichen Sinne über diese Steine gestolpert, und dies sollte das Leben der Bielefelder Pädagogin, die sich immer für Bildung, Demokratie und Gleichberechtigung starkgemacht hat, nachhaltig verändern. Heute ist die 68-Jährige Vorsitzende des Vereins Stolperstein-Initiative Bielefeld, der mittlerweile mehr als 200 Stolpersteine in der Stadt realisieren konnte. "Ich fand das damals eine geniale Idee. Gedenktafeln genau vor den Häusern einzusetzen, die sich die Menschen als letzten Wohnort frei wählen konnten, bevor die Nazis sie in ihre Vernichtungsmaschinerie pressten", erinnert sich Christine Biermann, die mit ihrem Bruder in einem politischen Haushalt großgeworden ist. Mutter Schneiderin, Vater Arbeiter bei Dürkopp-Adler, beide in der Gewerkschaft und in der SPD aktiv, beide große Vorbilder für die Bielefelderin, die im Siekerfeld aufgewachsen ist. Als 17-Jährige trat sie ebenfalls in die SPD ein, aber nahezu ebensoschnell wieder aus, weil ihr das Geklüngel im Ortsverein so gar nicht gefiel. Sie wollte sich lieber auf anderen Wegen politisch engagieren. Dieses Engagement führte Biermann auch in die gemeinsame Gewerkschaftsgruppe von Laborschule und benachbartem Oberstufenkolleg. Dort traf sie Ende der 1970er Jahre ihren Mann Jupp Asdonk, späterer Leiter des Bielefelder Oberstufenkollegs, der zwei Söhne in die Beziehung mitbrachte. 20 Stolpersteine zum Geburtstag Zu ihrem 50. Geburtstag wünschte sich Biermann dann von Freunden und Familie die Mittel, Gunter Demnigs Stolpersteine-Projekt auch nach Bielefeld zu holen. "20 Stolpersteine konnte ich auf diese Weise damals finanzieren." Nahezu zeitgleich ergab sich der Kontakt zu Eva Hartog, die sich ebenfalls für das Thema interessierte, und zusammen gründeten die beiden Frauen 2004 die Stolperstein-Initiative, die seit 2017 ein eingetragener Verein ist. Die ersten Jahre habe man sozusagen nur auf Sparflamme arbeiten und zu den Schicksalen recherchieren können, weil beide voll berufstätig waren. Hilfe gab es damals wie heute vom Stadtarchiv Bielefeld, aber auch von Heimatvereinen. "Seit fünf, sechs Jahren geht es steil bergauf", sagt Christine Biermann. Immer mehr Spenden gehen ein, so dass die Recherche zu neuen Stolpersteinen deutlich an Fahrt gewonnen hat. Ein fünfköpfiges Frauenteam, zu dem auch noch Gabi Hillner, Helga Kübler und Christiane Wauschkuhn gehören, sei der Motor des kleinen Vereins. Sieben Bielefelder Schulen beteiligen sich an der Spurensuche Zum Erfolg beigetragen hat auch, dass die Pädagogin das Thema in "ihre" Schule, die Laborschule Bielefeld, mitgenommen hat, dass es Teil des Schulprogramms geworden ist. Dort war sie von 1979 bis 1996 Lehrerin in der Primar- und Sekundarstufe. Während ihrer neunjährigen Abordnung an die Universität Bielefeld arbeitete sie als Lehrerin im Hochschuldienst beziehungsweise als Mitarbeiterin der Wissenschaftlichen Einrichtung der Laborschule an der Fakultät für Erziehungswissenschaften, schrieb ihre Doktorarbeit. Nach ihrer Rückkehr an die Laborschule (2005) arbeitete sie dann von 2006 bis 2018 als Didaktische Leiterin. Zu ihren Kernthemen gehörten Schulentwicklung, Mitbestimmung, individuelles und fächerübergreifendes Lernen und die geschlechterbewusste Pädagogik an Schulen. Mittlerweile, sagt Biermann, sind nicht nur die Laborschüler dabei, sondern sieben Kooperationsschulen beteiligen sich an der Spurensuche. "Und wenn ihre Texte dann auf dem Onlineportal &bdquo;Spurensuche Bielefeld 1933-1945“ erscheinen, auf dem sich heimische Erinnerungsinitiativen vernetzen, "sind sie ganz stolz". Der Verein arbeitet selbstverständlich auch beim Projekt "Stolpersteine NRW" mit, das sogar eine eigene App hat. Mittlerweile gibt es landesweit rund 15.800 Stolpersteine. "Gleichberechtigung leider noch nicht erreicht" Wichtig war und ist Christine Biermann auch die Mädchenbildung und -stärkung. Gleichberechtigung sei leider immer noch nicht erreicht, sagt die Frau, der eine geschlechterbewusste Pädagogik und das Thema "Identität" immer wichtig waren. Christine Biermann kommt aus der feministischen Bewegung, bezeichnet sich auch heute noch als Feministin. Und ihre beiden Enkelinnen Lina und Sophie wissen, dass sie sie mit mädchentypischem Rosa und Spielzeug ganz schnell auf die Palme treiben können. Zum Spaß natürlich. Neben Politik, Geschichte und Gleichberechtigung gibt es im Hause Biermann/Asdonk durchaus noch andere Themen. Die beiden reisen gerne. Die Familie besitzt zudem ein Ferienhäuschen in Holland. Theater, Konzerte und Sport stehen ebenso auf dem Plan, wie Treffen mit Freunden sowie mit den beiden Söhnen in Wien und Frankfurt/M. "Und ich habe noch 1.000 Ideen", sagt Christine Biermann und lacht, "für die nächsten Jahre ist also gesorgt."

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