Kommentar Die Lage ist ernst: Ein Plädoyer für den Einzelhandel

Bielefeld. Der Mode-Dienstleister Katag will Einzelhändlern helfen, zu überleben – schon aus wirtschaftlichem Eigeninteresse. Es ist eine Aufgabe, die in diesen Zeiten nicht einfach ist. Das Bielefelder Unternehmen hat seinen Sitz in Stieghorst und beliefert 350 mittelständische Modehäuser mit Eigenmarken und unterstützt die Händler mit EDV-, Marketing- oder Social-Media-Expertise. Einmal im Jahr kommen rund 300 Chefs der führenden deutschen Modeunternehmen in der Katag-Zentrale in Bielefeld zu einer Tagung zusammen. Am Donnerstag dieser Woche war es wieder so weit. Die Veranstaltung war ein Erfolg: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck war da, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst schaltete sich per Livestreaming zu. Die Wirtschaftsgrößen der Region, Promis und Adelige folgten der Einladung des Unternehmens. Daran wird deutlich, welche Bedeutung das milliardenschwere Unternehmen hat. "Einen weiteren Lockdown halten wir nicht aus" Bei so einer Gelegenheit wird aber auch schnell klar, wie es um die Branche steht. Es sei niemand, wirklich nicht ein einziger Händler im Saal, der in der Coronakrise keine Überbrückungshilfe angefordert hätte, betont Katag-Chef Daniel Terberger gegenüber den Politikern. Er kritisierte, dass viele von ihnen wegen des Bearbeitungsstaus noch immer auf ihr Geld warten. Habeck verstand die Botschaft. Er wisse, dass keine Branche während der Pandemie so gelitten habe, wie die Kultur, die Gastronomie und der Einzelhandel: &bdquo;Einen weiteren Lockdown halten wir ökonomisch und gesellschaftlich nicht aus.“ Die Politik dürfe deshalb nicht (wieder) unvorbereitet in den Herbst gehen. Ob Habeck es dann besser machen wird, ist noch offen. Fest steht allerdings, dass viele Einzelhändler das Handtuch werfen müssen, wenn es dieses Mal nicht besser laufen wird. Das hätte fatale Folgen für die Stadt. Denn es sind vor allem die Geschäfte, die unsere Zentren erst lebenswert machen. Leere Schaufenster, eine abgeklebte Scheibe, ein leerer Verkaufsraum: Den Wert einer Sache erkennt man erst, wenn sie nicht mehr da ist. Ohne den Handel würden die Zentren ausbluten. Er ist es, der die Innenstädte und Stadtteilzentren lebendig macht. Selbst die Gastronomen wissen das zu schätzen. In der Stadt erst Schuhe, Bücher oder Kleidung kaufen zu können und danach noch in ein Café zu gehen, hat mit Lebensqualität zu tun. Ein erfolgreicher Innenstadt-Einzelhandel strahlt auf die gesamte Stadt aus. Gute Politik muss deshalb die Nebenwirkungen der Corona-Maßnahmen abfedern. Für den Handel heißt dies, eine Insolvenzwelle zu verhindern und damit sicherzustellen, dass Innenstädte lebenswert bleiben. Damit allein ist es nicht getan. Die Einzelhändler brauchen pfiffige Ideen für neue Geschäftsmodelle. Durchschnittlichkeit und Unauffälligkeit wird hart bestraft. Wer seine Kunden vom Sofa-Online-Shopping weglocken will, muss mit einem überzeugenden Angebot aufwarten und dem Kunden ein positives Einkaufserlebnis bieten, das alle fünf Sinne anspricht. Das ist längst nicht bei jedem Laden der Fall. Doch viele Einzelhändler sind inzwischen aufgewacht. Pop-up-Stores locken neue Käufergruppen an Abgesehen davon, müssen die Kommunalpolitik und die Verwaltung mitziehen. Eine kluge Verkehrspolitik, Stadtgestaltung und eine Leerstandstrategie sind unerlässlich. In den vergangenen Jahren sind sogenannte Concept- und Pop-up-Stores in Großstädten zum Trend geworden. Läden, die zunächst für einen begrenzten Zeitraum öffnen, können neue Käufergruppen in die Innenstadt ziehen. Das Konzept bietet Vorteile. Kunden können Produkte testen, Leerstände werden vermieden. Und nicht zuletzt muss sich jeder an die eigene Nase fassen. Wer in einer Stadt leben möchte, die eine lebendige City hat, der muss den Handel vor Ort unterstützen. An diesem Wochenende bietet sich eine gute Gelegenheit. Beim Late-Night-Shopping werden die Straßen der Innenstadt zur Bühne für die Straßenkunst. Offene Geschäfte, besondere Angebote, Live-Musik, Akrobatik, Comedy und Zauberei werden geboten. Eben alles, was die fünf Sinne anspricht. Perfekt.

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