Bielefeld Rausschmiss: Darum gibt bekannte Bielefelder Tankstellen-Betreiberin auf

Bielefeld. Katja Fritsch-Müller ist eine, die nicht so leicht aufgibt: als die Heeper Straße zur Dauerbaustelle wird, der Umsatz einbricht, als beim neuen Shop-Konzept &bdquo;Rewe To Go“ nicht alles rund läuft. Irgendwie hätten sie und ihr Mann Thomas es immer geschafft, den Laden am Laufen zu halten in der &bdquo;Blauen Lagune“. So der Spitzname der alteingesessenen Aral-Tankstelle, die das Ehepaar mehr als 15 Jahre betrieben hat. Vier Überfälle und eine Geburt habe sie dort erlebt, erzählt Fritsch-Müller. &bdquo;Unsere Töchter sind hier quasi aufgewachsen.“ Jetzt ist Schluss. Knallhart servierte Aral den treuen Pächtern die Kündigung. Und sie sind nicht die Einzigen. Wichtige Einnahmequellen der Pächter übernimmt Aral jetzt selbst &bdquo;Wir sollten neue Verträge unterzeichnen und das Shop- und Bistrogeschäft ganz an Aral übergeben“, erzählt die 44-jährige Bielefelderin. 50 Prozent der Einnahmen oder mehr machten diese Bereiche am Gesamtgeschäft der Tankstelle aus. In Zukunft blieben Pächtern als direkte Einnahmequelle nur die Waschanlagen, bei denen sie noch Preise und Angebot frei gestalten könnten. &bdquo;Unsere Selbstständigkeit als Unternehmer und unsere Handlungsspielräume werden durch die neuen Verträge extrem eingeschränkt.“ Die Bielefelder Tank-Branche ist im Umbruch. Während die Politik die Abkehr vom Verbrenner vorantreibt, suchen die Tankstellen-Konzerne nach neuen Geschäftsideen für die Zeit danach. Das geschieht oft auch auf dem Rücken der Pächter. Bei Aral werden sie nun an den Umsätzen in Shop und Bistro in Zukunft nur noch durch Provisionen beteiligt, auf die sie wenig Einfluss nehmen können. Zugleich bleibe das wirtschaftliche Risiko, die Tankstelle zu betreiben und die Angestellten zu bezahlen, erklärt Fritsch-Müller. Belegte Brötchen, Kaffee, Bier, Zigaretten, Schokoriegel und seit &bdquo;Rewe To Go“ obendrein Windeln, Bio-Schlagsahne oder Fertig-Curry – alles, was über den Verkaufstresen geht, bleibt zukünftig Eigentum von Aral und Shop-Partner Rewe. Ein System, dessen Schwächen Fritsch-Müller als erfahrene Kauffrau nur allzu bewusst sind. &bdquo;Ich war vorher Filialleiterin bei Textildiscounter Kik und weiß, was es heißt, Verantwortung für fremde Ware zu haben. Wir müssten uns in eine komplette finanzielle Abhängigkeit begeben.“ "Der Gesellschaft auf Gedeih und Verderb ausgeliefert" Weil sie nicht unterschreiben wollten, erhielten Fritsch-Müller und ihr Mann die Kündigung. Ebenso wie die ebenfalls langjährigen Pächter der Tankstellen an Jöllenbecker, Detmolder und Paderborner Straße. &bdquo;Manchmal sitze ich jetzt zu Hause und könnte nur noch heulen“, sagt die 44-Jährige. Am 31. Mai hat sie &bdquo;ihre Tankstelle“ nun abgeben müssen. Wie viele Pächter von den Kündigungen nun betroffen sind, dazu äußert sich Aral auf Nachfrage nicht. Von einer Sprecherin heißt es dazu lediglich: Da es sich um eine flächendeckende Umstellung des Shop-Geschäfts handele, könne &bdquo;in Einzelfällen die Geschäftsbeziehung leider nicht aufrechterhalten werden, wenn eine Pächterin oder ein Pächter die Umstellung nicht mitvollziehen möchte.“ Thomas Drott, Geschäftsführer beim Bundesverband Tankstellen und Gewerbliche Autowäsche (BTG) in Minden, bestätigt unterdessen die Einschätzung der Bielefelder Pächterin: &bdquo;Pächter bezahlen zukünftig alle Fixkosten, während die Einnahmeseite ausschließlich von Aral bestimmt wird. Sie sind der Gesellschaft auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.“ Zugleich berge die geplante Vereinheitlichung des Shop-Sortiments bei Aral für Betreiber im ländlichen Raum ein großes Risiko. &bdquo;Sonst landet man schnell in Insolvenzen“ &bdquo;Der Standort ist im Shop-Geschäft enorm wichtig“, erklärt Drott. &bdquo;An einer Tankstelle am Frankfurter Flughafen kaufen andere Kunden ganz andere Produkte als in Tank-Shops in Bielefeld.“ Doch die Aral-Pächter dürften aufgrund der neuen Verträge keinerlei Einfluss darauf haben, was zu welchem Preis in ihrem Shop steht. Durch die Provision verdienten sie so zwar an jedem Paket Fertig-Sushi mit. Muss das jedoch häufig weggeworfen werden, weil es keiner kauft, fehlen wichtige Einnahmen. Wo das Shop-Konzept nicht hinpasse, sollten Pächter besser schnell gehen, rät Drott. &bdquo;Sonst landet man schnell in Insolvenzen.“ Gleichzeitig funktioniere die Tankstelle als Mini-Supermarkt – so wie es Aral auch an sechs der zwölf Bielefelder Tankstellen mit &bdquo;Rewe To Go“ versucht – nur in der Theorie gut, so Drott. Das Problem: &bdquo;Die Leute fahren in erster Linie zur Tankstelle, um zu tanken.“ In Zukunft könnte diese zwar zur Servicestation werden mit Tank- und Ladesäulen, Post- und Lottoschalter, Bankautomat und eben Supermarktangebot. &bdquo;Aber das muss der Verbraucher erst lernen.“ Und wer kümmert sich jetzt um die "Blaue Lagune"? Es sind schwere Zeiten für Tankstellenpächter. &bdquo;Ich fühle mich wie eine Schachfigur“, sagt Fritsch-Müller. Als sie 2006 bei der Aral einstieg, wurden Pächter für individuelle Tankstellen-Shops gesucht, die dem Konzern ein freundliches Gesicht geben sollten. &bdquo;Jetzt hätten wir uns vertraglich bereiterklären müssen, weitere Tankstellen zu betreiben. Die Aral hätte uns also einfach dazu drängen können, irgendeinen anderen Standort zu übernehmen.“ Und damit ein noch größeres finanzielles Risiko. Das Miteinander mit Mitarbeitern und Stammkunden, das gute Verhältnis mit den Zulieferern, den täglichen Austausch werde sie besonders vermissen, sagt die 44-Jährige. Ihnen allen will das Ehepaar Dankeschön sagen. &bdquo;Wir hatten ein geniales Team.“ Jetzt muss ein neuer Plan fürs Leben her. Ein gekündigter Kollege sei zurück in die Türkei gegangen, weiß Fritsch-Müller. Sie selbst kann sich vorstellen, eine Ausbildung zum Coach zu machen. Ehemann Thomas Müller (48), zuvor Angestellter in der Tankstelle, hat sich arbeitslos gemeldet. Weil sie gut gewirtschaftet hätten, bodenständig gelebt, nie Kredite aufgenommen, kämen sie erst einmal gut über die Runden, sagt Fritsch-Müller. &bdquo;Wir werden jetzt etwas machen, was wir als Familie nie konnten – zwei Wochen Urlaub. Und wir fliegen.“ Und die &bdquo;Blaue Lagune“? Ihr Schicksal liegt nun in den Händen von Dimitrios Bodolas, der seit zehn Jahren die Aral-Tankstelle an der Herforder Straße betreibt. Er macht weiter bei Aral. Und will für die Kunden &bdquo;sein Bestes geben“.

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