© Sarah Jonek
Bielefeld Entsetzen über homophobe Übergriffe beim Bielefelder CSD
Christopher Street Day: Urin in Wasserpistolen, Pfefferspray, Spuckattacken, sogar eine Verletzte - eine Expertin sieht eine neue Dimension des Hasses.
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„Schon in der Parade wurden uns viele Sachen hinterhergerufen. Wir wurden geschubst, uns wurden Beine gestellt, wir wurden bespuckt", berichtet Yasmin Stutz (20) in einem TikTok-Video, das seit Samstag viral gegangen ist – nicht nur in Bielefeld. Doch das war für die bunte, junge Truppe erst der Anfang. Auf dem Rückweg zum Bahnhof wurden die Oldenburgerin und ihre Begleiter von Jugendlichen mit Wasserpistolen beschossen. „Eigentlich ganz cool. Wir haben uns über eine Abkühlung gefreut. Bis wir realisiert haben, dass in den Pistolen kein Wasser war, sondern pures Urin."
Mehrere CSD-Besucher bestätigen die Urin-Attacken
Die vier bis fünf Teenager (16 bis 18 Jahre) hatten laut Stutz in ihre Wasserpistolen gepinkelt und damit die Rückkehrer von der Pride-Parade besudelt, indem sie ihnen den Inhalt „ins Gesicht gespritzt" haben. Mehrere andere CSD-Besucher berichteten von identischen Erlebnissen. Die Jungs sollen das Ganze teilweise sogar noch gefilmt haben. Eine Userin kündigte an, deshalb Strafanzeige zu erstatten.
Das hier eingebundene Inhaltelement ist in dieser Ansicht nicht darstellbar. Klicken Sie hier, um zur Vollansicht des Artikels zu gelangen. >>Yasmin Stutz berichtet anschließend in ihrem Video noch über eine Gruppe in der Parade, die offenbar mit Bierflaschen beworfen worden war. „Gesehen habe ich es nicht. Wir waren ganz am Ende des Umzuges", berichtet sie im Gespräch mit der Lokalredaktion. „Plötzlich lag vor uns ein Mädchen auf der Straße, sie blutete und weinte." Sie muss bei der Bierflaschenattacke ausgerutscht und dann in eine der Scherben gestürzt sein. „Eine große Scherbe steckte in ihrem Bein. Sie konnte nicht laufen. Aber die Umstehenden riefen ihr hinterher, dass sie es verdient hätte, weil sie gay sei." Die Gruppe um die Oldenburgerin habe dann ihre Fahnen hochgehalten, um die Verletzte von den Gaffern und Pöblern abzuschirmen.
Das TikTok-Video führt zu weiteren Berichten von Übergriffen
An anderer Stelle seien sie von religiösen Fundamentalisten als Sünder beschimpft worden. Als die gläubige 20-Jährige entgegnete, dass sie gay sein und trotzdem Jesus lieben könne, sei die Stimmung hochgekocht. „Wir wurden aufs Übelste beschimpft."
Das TikTok-Video von Yasmin Stutz wurde Anlass für viele CSD-Besucher, auch ihre negativen Erlebnisse in Bielefeld kundzutun. Offenbar wurden einige Besucher am Bahnhof mit Pfefferspray attackiert. Von einer Prügelattacke ist die Rede. Ob dies jeweils tatsächlich stattgefunden hat, lässt sich nicht ohne Weiteres prüfen. Stutz selber habe mehrfach während der Parade beobachtet, dass Polizisten dazwischen gehen mussten. Was genau Anlass dafür gewesen sei, habe sie aber nicht mitbekommen.
Städtische Stelle sammelt alle Vorfälle
Bisher hat sie acht bis zehn Vorfälle gemeldet bekommen. Sie spricht von verbalen Angriffen, Pöbeleien, Bedrohungen und leider noch schlimmer. „Wir sehen plötzlich eine neue Dimension in Bielefeld erreicht", sagt Vogt. Im Vorjahr sei viel Hass im Internet verbreitet worden. Aber in diesem Jahr sei der Hass auf offener Straße ausgebrochen. „Das hatten wir in Bielefeld in dieser Größenordnung und in dieser Qualität noch nicht. Das Internet kann man ausschalten, aber Diskriminierung und Angriffen auf der Straße kann sich niemand entziehen."
Doch woher kommt die plötzliche Eskalation? Stutz hat dafür keine Erklärung. Ihre Erfahrungen und zahlreiche Rückmeldungen aus ganz Deutschland zeigen aber, dass der Hass direkter und offener auftritt als noch vor einem Jahr.
Doch es gibt auch etwas Positives: Yasmin Stutz erwartete mit ihrem Video auch negative Reaktionen auszulösen. Das Gegenteil war der Fall: "Ich bin ziemlich glücklich darüber, dass es noch keine bösartigen Reaktionen gab." Trotzdem hätten die Vorfälle gezeigt: "Unser Ziel ist noch nicht erreicht. Der Kampf für Gleichberechtigung ist noch längst nicht vorbei."
Ärgerlich: Die Zeugen zeigten kaum Zivilcourage
Was Friederike Vogt zusätzlich ärgert: „Es hat kaum jemand Zivilcourage gezeigt. Niemand muss sich in Gefahr bringen, aber Zeugen können verbal reagieren, zeigen, dass sie für die anderen einstehen, sie können laut sein und den Betroffenen zur Seite stehen." Das scheint kaum passiert zu sein.
Betroffene können sich bei der Gleichstellungsstelle der Stadt Bielefeld auf Facebook oder Instagram melden. Oder sie schreiben eine Mail an lsbtiq@bielefeld.de. Außerdem kann auch die Landesfachstelle für Anti-Gewalt-Arbeit zur Verfügung weiterhelfen.