Bewegender Moment Nach Medikamentensucht: Bielefelderin kämpft sich ins Ziel - Schwester in Tränen

Bielefeld. Seit dem ersten Startschuss im Jahr 1972 hat der Hermannslauf nichts von seiner Faszination verloren. Am Sonntag findet nun die 50. Auflage des Landschaftslaufs zwischen Detmold und Bielefeld statt. In all den Jahrzehnten sind viele bislang unerzählte Geschichten entstanden, die das ganz besondere Hermannslauf-Gefühl ausmachen. Vor dem Jubiläumslauf hier nun eine kleine Auswahl von den NW-Lesern aus einem halben Jahrhundert &bdquo;Hermann". Die Tränen der Schwester beim Zieleinlauf Nach der Überwindung ihrer Medikamentenabhängigkeit fing Claudia Sahm im Jahr 2000 mit dem Laufen an. Ankommen war das Ziel bei ihrem Premierenlauf im Jahr 2002. Am eisernen Anton ereilte die damals 40-Jährige aber ein Tief. &bdquo;Dort stand ein Zelt mit Sanitätern, sie hatten Discomusik an. Als ich vorbeitrottete sagte einer: Die, die jetzt noch kommen bewundere ich am meisten, einfach weil sie es schafffen wollen. Das hat mich die letzten Kilometer getragen. Meine Schwester stand damals nicht nur an den Lämmershagener Treppen, sondern auch noch mit Tränen in den Augen am Ziel. Die letzten Meter vor der Sparrenburg, wenn der Sprecher vor dem Ziel deinen Namen aufruft, die Freunde und Familie, die dir, auch nach 4 Stunden Laufzeit noch zujubeln, als hättest du den ersten Platz gemacht, werde den Rest meines Lebens nicht vergessen." Mit 78 Jahren noch mal mit der Enkelin gewandert Hinter Hannelore Potechius liegen 31 Hermänner. Die ersten 30 ist sie gelaufen. Dabei hat sie sich von 3:40 Stunden bis zu ihrer persönlichen Bestzeit von 2:43 Stunden gesteigert. &bdquo;Mit jedem Lauf wurde es besser, und als ich dann regelmäßig am Samstag-Training des TSVE teilnahm, war von Schwäche im Ziel keine Rede mehr. Und wenn ich dann im Ziel mit netten Worten von Martin Sprenger, der vom Turm aus die LäuferInnen empfing, namentlich begrüßt wurde, war das für mich der Höhepunkt des Hermann. Die vielen bekannten und unbekannten Zuschauer auf der Promenade sorgten für den letzten Kick vor dem Ziel. Mit 75 Jahren und meinem 30. Lauf wollte ich eigentlich Schluss machen. Drei Jahre später bin ich dann aber noch einmal mit meiner Enkeltochter &bdquo;gewandert" und kam mit 4:45 Std. 15 Minuten später als sie ins Ziel. Der &bdquo;Hermann" gehört zu den schönsten Läufen meines langen Läuferinnen-Daseins und ich gratuliere dem TSVE zum 50-jährigen und hoffe, es werden noch viele &bdquo;Hermänner" folgen." Ein Lorbeerkranz im Ziel vom Ehemann Kerstin Fleiter-Tews ist vor allem ihr erster &bdquo;Hermann" im Jahr 2013 in Erinnerung geblieben. Ihr ebenfalls mitlaufender Mann und ihre damals 9-jährige Tochter Tochter machten ihn für die 49-Jährige zu einem unvergesslichen Erlebnis. An der Autobahnbrücke in Lämershagen &bdquo;wartete meine Tochter gefühlt seit Stunden auf mich (der Papa war schon längst durch, er läuft deutlich schneller als ich), mit einem großen, beschrifteten Plakat in der Hand und die Oma an ihrer Seite. Sie strahlte, als sie mich sah und feuerte mich an, als würde ich gerade Olympiasiegerin im Marathon. Dieses persönliche Highlight gab mir viel Kraft für den Rest der Strecke". Als Fleiter-Tews schließlich nach 3:59 Stunden ins Ziel kam, wartete dort schon &bdquo;mein Mann mit einem Lorbeerkranz auf mich, den er mir stolz umhängte. Mit Medaille und Lorbeerkranz um den Hals ging es dann zu den anderen Läufern auf die Wiese. Dort musterten mich zwei ganz junge Läufer einige Minuten, bis einer sich traute und mich ansprach und fragte, ob ich den Hermannslauf gewonnen hätte. Nach über drei Monaten Training bei Wind und Wetter war das mein persönliches I-Tüpfelchen." Der 100-Mark-Schein für das Taxi im Socken dabei Kurz vor dem Hermannslauf 1985 trat Uschi Harms in den TSVE 1890 ein und meldete sich und ihren Mann Dieter sofort zum Lauf an. Ohne ihre bessere Hälfte allerdings zu fragen. Am Tag des Hermannslaufs schneite es. &bdquo;Mein Dieter legte sich gleich wieder aufs Ohr, mit der Bemerkung, da willst du doch wohl nicht laufen. Ich kannte kein Erbarmen und jagte meinen lieben Mann aus den warmen Federn. Denn ich wollte unseren Hermannslauf", erzählt Uschi Harms. &bdquo;Aber wir hatten ein kleines Problem. Denn auf so ein Wetter waren wir nicht eingerichtet und unsere Laufkleidung war doch noch sehr dürftig. Es wurde improvisiert. Wir sahen nicht gerade aus wie dynamische Läufer." Als das Ehepaar am Hermannsdenkmal schließlich aus dem Bus stieg, hagelte es sogar. Kurz nach dem Start verloren sich Uschi und Dieter Harms aus den Augen, da der Ehemann nicht Schritt halten konnte. Dies blieb auch bis zur Ziellinie so, die Dieter Harms rund 15 Minuten nach seiner Frau überquerte. &bdquo;Wie sich herausstellte, war Dieter auf Nummer sicher gegangen. Er hatte einen 100-DM-Schein für eine Taxifahrt im Socken vergraben, falls das Training doch noch nicht gereicht hätte. Dieses Markenzeichen begleitete ihn noch viele Jahre. Wenn wir mit dem Verein unterwegs waren, um lange Strecken zu laufen, wurde er immer wieder gefragt, ob er seinen Hunderter im Strumpf dabei hätte." Das klopfende Geräusch eines Gehstocks Ihren ersten Hermannslauf Anfang der 1980er-Jahre werden Heidi und Hans-Günter Hollmann niemals vergessen. Beide waren damals Mitte 20 und als Handballer in Jöllenbeck aktiv. &bdquo;Wir waren unternehmungslustig und topfit. Da kam der Hermannslauf gerade recht. Außer unseren Handball-Trainingseinheiten hatten wir ein zusätzliches Lauftraining natürlich nicht nötig." Als sie am Start standen, bemerkten sie einen älteren Teilnehmer mit versteiftem Bein und Gehstock. &bdquo;Wir dachten uns: Na, ob das gut geht? Nach dem Start sind wir gerannt bis es irgendwo zwischen Oerlinghausen und Schopketal nicht mehr ging und schleppten uns den Rest der Strecke. Als wir dann endlich auf der Promenade waren und überlegten, die letzten Meter wieder zu laufen, hörten wir hinter uns das klopfende Geräusch eines Gehstocks. Es war der ältere Teilnehmer, den wir am Hermannsdenkmal vier Stunden zuvor bedauert hatten. Erst Jahre später haben wir registriert, wem wir seinerzeit begegnet sind. Es war Gerhard Pribbernow aus Sennestadt, der in seiner langjährigen Zeit als aktiver Sportler einer der prominentesten Ultra-Langstreckengeher Europas war. Wir haben ihn nie vergessen. Er bleibt uns auf besondere Weise immer ein Vorbild." In 40 Läufen vom Gesamtsieger zum Nordic-Walker Wenn Martin Sprenger am Sonntag ins Ziel kommt, wird er 40 Hermannslaufteilnahmen auf dem Konto haben. Dementsprechend viele Anekdoten hat der Sieger aus dem Jahr 1988 zu berichten. Von Läufen durch Schnee- und Graupelschauer sowie von Hitzeläufen. Oder von den Zeiten, als sich einige Läufer die Warterei auf den Start im Café am Hermannsdenkmal mit einem deftigen Stück Käsesahnetorte verkürzten und davon, dass es bis weit in die 80er-Jahre hinein keine Startzonen gab. &bdquo;Ein Startbanner und ein Flatterband hielten die Meute im Zaum – oder auch nicht. Einige konnten den Startschuss kaum abwarten, andere meinten sich einen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass sie hinter der Bandelhütte, aus den Büschen kommend, auf die Strecke gingen." Wie schwer die Strecke auch als Nordic-Walker ist, erfuhr Sprenger dann bei seinem ersten Start in dieser Disziplin im Jahr 2013. &bdquo;Da musste ich auf der Strecke mehrmals Abbitte leisten. Ist ja nur Nordic Walking! Von wegen! Unterwegs plagten mich mehrere Muskelkrämpfe, nicht in den Beinen, sondern in den Armen! Den Stockeinsatz hatte ich total unterschätzt." Im Jahr 2015 kam Sprenger sogar ein Abbruch in den Sinn. Doch an einem inoffiziellen Verpflegungsstand brachten ihn eine Tafel Schokolade und zwei Becher Cola wieder auf Kurs. Und so erinnert er sich mit einem Lächeln an alle seine Teilnahmen. Denn: &bdquo;Jedes Mal, wenn ich das Ziel an der Sparrenburg passiere, sind es die Glücksgefühle, die ich auskosten darf, immer wieder neu und berauschend!" Von den ersten fünf Kilometern Jogging bis zum Lauf auf das Treppchen Im Jahr 2005 begann Ilka Wienstroth im Alter von 24 Jahren mit dem Laufen. &bdquo;Ich erinnere mich noch gut an die erste Runde von 5 km mit einmal gehen zwischendrin." Doch das Lauffieber hatte sie gepackt und sie meldete sich im nächsten Jahr direkt für den &bdquo;Hermann" an, den sie in 3:05 Stunden beendete. Seitdem war sie bis auf zweimal bei jedem Hermann dabei und hat sich stetig verbessert. Am emotionalsten war jedoch ihr Hermannslauf im vergangenen Jahr. &bdquo;Zufälligerweise hatte ich einen Pacemaker aus meinem Verein dabei, der mich eigentlich nur bis Oerlinghausen begleiten sollte. Auf dem Tönsberg sagte ich ihm, er solle rennen, aber Henry blieb an meiner Seiten mit den Worten: Du bist die dritte Frau. Dass ich zunächst auf Platz zwei lag, nahm ich gar nicht so wahr – fest damit rechnend, eh noch überholt zu werden. Auf dem Tönsberg überholte mich – nicht wie erwartend – meine Vereinskollegin und liebe Freundin Annika Herrmann, sondern eine andere Frau, die ich gar nicht auf dem Schirm hatte. Von da an dachte ich mir Halt so lange wie möglich Platz drei. Die Zuschauer, besonders die in Oerlinghausen, trugen mich über die Strecke. An den &bdquo;Kamelhöckern" sagte ich zu Henry, dass ich nicht mehr könne. Er motivierte mich weiter mit den Worten, ich sei Dritte und Annika als Vierte sei nicht zu sehen. Das half mir wieder und so konnte ich auch die letzten Kilometer mit einem guten Gefühl und wie in Trance laufen. Das Jubeln der Zuschauer und die Worte des Sprechers Hier kommt die nächste Frau ließen mich erst realisieren, dass ich bei meinem 13. Hermannslauf tatsächlich aufs Treppchen gelaufen war. Mit einer für mich absoluten Traumzeit von 2:11:58 Stunden. Das werde ich niemals vergessen." Abschied am Sonntag nach 33 Teilnahmen Der 33. Lauf in diesem Jahr soll für Joachim Walkenhorst der &bdquo;Abschiedslauf" beim Hermann werden. Von den vielen Erlebnissen während dieser Zeit ist ihm eine in lebhafter Erinnerung geblieben: &bdquo;Es war ein sehr heißer Hermannstag und ich hatte mich einer kleinen Gruppe angeschlossen, die gut zusammen harmonierte und recht gleichmäßig lief. Als wir dann den berühmten Tönsberg herauf stampften und sich sowohl die Atmung als auch die bisherige Gesprächssituation deutlich veränderten und wir oben entsprechend ankamen, rang einer der Mitläufer stark nach Luft und bekam noch gerade heraus: Komisch, als ich gestern den Lauf geübt habe, hat das hier alles besser geklappt. Die Gruppe wollte lachen, aber es ging nicht. Erst beim Runterlauf nach Oerlinghausen brach das Gelächter los!" Persönliche Bestzeit trotz vieler Widrigkeiten Sechsmal ist Detlev Clever den Hermann mittlerweile gelaufen. Am Sonntag steht seine siebte Teilnahme an. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm der &bdquo;Herbst-Hermann" im Oktober 2021, als er in 2:19 Stunden Dritter in der Altersklasse M55 wurde und fast eine halbe Stunde schneller war, als bei seiner ersten Teilnahme im Jahr 2015. &bdquo;Einen solchen persönlichen Erfolg hätte ich mir vor sechs Jahren noch nie und nimmer vorstellen können. Das hat mir (wieder) gezeigt, dass sich kontinuierlicher Trainingsfleiß eben doch auszahlt." Etwas schneller war er nur im Jahr 2019, obwohl er dort schon vor dem Start mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. &bdquo;Ich durfte aufgrund meiner Zeit von 2018 in Startgruppe A starten, kam jedoch erst sehr spät in den Startblock und stand viel zu weit hinten. Auf den ersten 10 Kilometern war da für mich kaum ein Durchkommen. An der 10 Kilometer-Marke hatte ich meine persönliche Bestzeit eigentlich schon abgeschrieben und versuchte nur noch, irgendwie das Beste draus zu machen. In Oerlinghausen hatte ich zwar schon was gutgemacht, glaubte aber noch immer nicht an eine Bestzeit. Und dann setzte einem auch noch ein fieser, kalter Graupelschauer zu! Aber ich spürte nun, das es noch erstaunlich flüssig lief und ich noch gute Reserven hatte, kam so gut wie noch nie durch`s Schopketal und auch die berüchtigten Lämershagener Treppen bezwang ich ohne wirkliche Gehphase. Vor der letzten ganz harten Steigung kurz hinterm Eisernen Anton noch schnell ein Schluck Cola. Runter zur Habichtshöhe wurde alles riskiert, was die Beine eben hergaben und der Endspurt auf der Sparrenburg-Promenade war der reinste Wahnsinn. Als ich die Zeit im Ziel sah, riss ich die Arme hoch: 2:18:59 Stunden. Die Persönliche Bestzeit wider Erwarten getoppt."

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