Bielefeld Diskriminierung? Wie ein Masken-Disput eine kriselnde Koalition sprengt

Bielefeld. Die rot-grün-rote Koalition in Jöllenbeck ist geplatzt. Aufgekündigt von den Grünen. Ausschlaggebend: Der Vorwurf einer diskriminierenden Äußerung gegenüber Fraktionssprecher Klaus Feurich. Hintergrund: Feurich ist schwer krank, unter anderem leidet er an einer Lungenkrankheit und verfügt nur über etwa ein Drittel des üblichen Lungenvolumens. Aus diesem Grund erhielt er in der Pandemie eine Befreiung vom Maske-Tragen. Diese Befreiung habe er 2020 nach der Wahl mitgeteilt und erklärt, so Feurich. Das bestätigen viele Bezirksvertreter. "Es ist bekannt", sagt Frank Strothmann (CDU). Feurich gehört also nicht zum Lager der Corona- und Masken-Skeptiker. Er verweigert die Maske nicht, sondern hat erhebliche Atem-Probleme unter ihr. "Halte ihn für lernfähig" Als die Grünen nun im Dezember ein Weihnachtsfrühstück der Bezirksvertretung verlegt wissen wollten, weil es nicht gut in die Zeit passe, kam von Bezirksbürgermeister Mike Bartels (SPD) per Mail die umstrittene Replik. Es verwundere, "dass ausgerechnet Herr Feurich diesen Vorschlag unterbreiten würde, obwohl dieser beim Anlaufen der Präsenzphase in der Bezirksvertretung wiederholt nachdrücklich auf das Tragen einer Maske hätte hingewiesen werden müssen" (Zitat aus dem Grünen-Schreiben zum Koalitions-Aus). I-Tüpfelchen: Er, Bartels, halte Feurich aber für lernfähig. CDU-Mann Strothmann bestätigt den Inhalt der Mail. Diskriminierung? Feurich ist empört. Trotz seiner Befreiung habe er sogar versucht, mit einer medizinischen Maske den Regeln Rechnung zu tragen, von denen er befreit war und ist. Er spricht von Diskriminierung. Strothmann, der wahrlich den Grünen nicht nahe steht (der SPD aber auch nicht), sieht den Vorwurf der Grünen als "berechtigt" an. "Das war nicht angemessen und hatte eindeutig einen Zungenschlag." Dieser Zungenschlag ist es, der Feurich und seine Fraktionskolleginnen Vanessa Kleinekathöfer und Dr. Silke Ghobeyshi zum harten Schnitt veranlasst hat. Feurich: "Das ist diffamierend, es hat etwas von Corona-Leugner, dabei gehöre ich zur Höchstrisikogruppe und bin damit offen umgegangen - und bin geimpft und geboostert." "Verletzend angekommen" Andere sehen die Situation etwas weniger scharf. Benni Stiesch (Linke), der zur Koalition gehörte, glaubt, dass die umstrittene Mail "der letzte Tropfen war" in ein lange übervolles Fass war. Auch er habe die Mail als "nicht angemessen im Ton" erlebt, Bartels sei aber auch für sein besonderes Temperament bekannt. "Ich will es deshalb nicht überbewerten und glaube, dass sich da sehr viel Persönliches aufgestaut hat." Stiesch: "Es ist verletzend angekommen, ich denke aber auch, dass man in der Politik filtern muss, da sonst vieles zu sehr aufgebauscht wird." Dr. Bodo Holtkamp (FDP) glaubt ebenfalls, "dass der Konflikt älter ist". Er, der frisch dabei ist in der BZV, habe das Ganze nicht so intensiv wahrgenommen, "mir ist es erst so richtig bewusst geworden, als Frau Kleinekathöfer eine Entschuldigung einforderte". Das Problem liege wohl eher am Beginn der Koalition, "die war ja von Anfang problematisch". Denn: Erst kurz vor der ersten Sitzung hatten Grüne und SPD (und Linke) zähneknirschend zueinander gefunden. Hintergrund: Bartels gilt als schwierig, da er etliche Funktionen parallel ausübt - vom Bezirksbürgermeister über die Herausgeberrolle eines Jöllenbecker Gratis-Blättchens (wo er in verschiedenen Rollen als Autor auftritt) bis hin zum Vorsitz der Werbegemeinschaft und eines AWO-Ortsverbandes. Entschuldigung? In dieser Mischung gilt Bartels als hemdsärmelig und zieht den Vorwurf an, nicht trennscharf zu agieren - von Wortmeldungen in der BZV bis hin zu kommentierenden Aussagen im Gratis-Blättchen. Feurich: "Bürger können kaum unterscheiden, was in welcher Rolle formuliert wird." Doch, das betont Feurich, ausschlaggebend sei jetzt die diskriminierende Aussage ihm gegenüber gewesen. Dass sich Bartels bis heute nicht bei ihm entschuldigt habe, sei vielsagend (Bartels sieht das anders; siehe Info-Kasten). Und die politische Zukunft? Bartels will nicht zurücktreten, die CDU prüft, ob es dennoch Wege zu einer Neuwahl des Bezirksbürgermeisters gibt. Strothmann findet es irritierend, dass Bartels weitermacht, "obwohl er weiß, dass ihm der Rückhalt fehlt". Und es gebe sogar ein doppeltes Geschmäckle, denn eigentlich war vereinbart, dass Bartels im Sommer zurücktritt und sein Parteifreund Niklas Bühner übernimmt. Der aber ist nun umgezogen und nicht mehr in der BZV. "Das aber ist doch keine Legitimation für sein Bleiben", sagt Strothmann verwundert - und betont, die CDU als stärkste Fraktion stünde mit einem eigenen personellen Vorschlag bereit. Isolierter Bürgermeister Die Grünen sind ebenfalls irritiert, sie aber gehen derzeit davon aus, dass es künftig ohne irgendeine Koalition weitergeht - und sich dann eben für jeden Antrag Mehrheiten gesucht werden müssen. Die Geschäftsordnung gebe es wohl nicht her, Bartels den Job zu nehmen. Und so könnte Bartels nun über Jahre als quasi isolierter Bezirksbürgermeister agieren. Das sagt der Bezirksbürgermeister: Mike Bartels wehrt sich auf Anfrage gegen die Vorwürfe. Gleich mehrfach sieht er die Dinge komplett gegenteilig. So habe keiner aus der SPD-Fraktion davon gewusst, dass Feurich "schwerst behindert ist" und deshalb die Maske nicht tragen könne. Auch von einem Attest dazu habe seine Fraktion nichts gewusst. Bartels betont: Er habe die kritisierten Sätze in der Mail also im Unwissen über diesen Sachverhalt geschrieben. "Trotzdem habe ich mich vor zwei Wochen beim Koalitionstreffen für den Fall, dass sich Herr Feurich beleidigt gefühlt hat, entschuldigt." Deutlich wird, dass Bartels den Konflikt anders sieht. Es sei von Anfang an darum gegangen, ihn trotz der Koalition als Bezirksbürgermeister zu verhindern. Deshalb habe er sich ja auch darauf eingelassen, im Sommer zugunsten eines anderen SPD-Mannes zurückzutreten, eigentlich Niklas Bühner - und nach dessen Abschied wäre es nun wohl auf Burkhard Kläß hinausgelaufen. Da es ohne die Koalitionsmehrheit nun vermutlich eine CDU-Bezirksbürgermeisterin geben würde, bleibe er jetzt im Amt. Unterm Strich sei es "starker Tobak, wie die Grünen uns hier in die Personalpolitik reingeredet haben", sagt Bartels. Warum es so sehr gegen ihn gehe, wisse er nicht, "vielleicht weil ich einfach besser vernetzt bin als die". Nun gehe es eben ohne Koalitionen weiter, so sein Fazit.

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