Bielefeld "500 Kinder schlagen sich um Essen": Bielefelder will Kinderdorf in Sierra Leone bauen

Bielefeld. &bdquo;Dieses Projekt wird mein Lebenswerk: Ich mache das, bis ich umfalle." Das sagt ein gerade mal 28 Jahre alter Mann. Marcel Juchhoff hat Slums in Sierra Leone gesehen – Bilder, die ihn nicht mehr loslassen. Er wollte etwas tun und gründete im April 2019 den Verein &bdquo;UCCOrphanage", um Waisenkindern in Sierra Leones Hauptstadt Freetown aus der Armut zu helfen. Sierra Leone zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Wer dort arm geboren wird, bleibt es meistens auch. Waisenkinder sind davon besonders betroffen: Sie müssen sich selbst versorgen; gehen oft arbeiten statt zur Schule. Ohne Bildung haben sie jedoch keine Chance auf einen guten Job. Sie bleiben arm. Diesen Teufelskreis will Marcel Juchhoff zumindest für ein paar Kinder durchbrechen: Sie sollen die Chance auf ein besseres Leben haben. Dafür gibt er alles. Wie eine andere Welt Erst im März/April 2021 war Juchhoff rund drei Wochen in Sierra Leone. Er habe einen Slum besucht, in dem vor wenigen Wochen ein großes Feuer ausgebrochen sei: Tausende Menschen schlafen nun in Zelten - die Regenzeit beginnt aber schon bald. Juchhoff erinnert sich an Bilder von ertrinkenden Menschen, die er vor zwei Jahren bekommen hat. Damals hatten die Leute zumindest bescheidene Blechhütten. Er will sich gar nicht ausmalen, wie schlimm es dieses Mal werden könnte. Er wollte in dem Slum mehr als eine Tonne Reis, Öl, Geflügel und Schuhe verteilen. Sich an Abstandsregeln gehalten und Masken getragen habe kaum einer. Juchhoff erklärt: &bdquo;Die Menschen haben zu viele andere Sorgen." Rund 500 Kinder seien auf ihn zugekommen, haben einstimmig um Essen gebettelt – wie ein Chor. Er beschreibt: &bdquo;Die haben sich über den Haufen gerannt, geschubst, geschlagen." Er stockt. Dann sagt er: &bdquo;Die Lage ist eskaliert. Wir mussten abbrechen." Übelnehmen könne er es den Kindern nicht. Sie leiden Hunger, haben Angst, nichts abzubekommen. Juchhoff sagt: &bdquo;Kinder sollten keinen anderen Menschen hinterherrennen und betteln müssen." Diese Bilder begleiten ihn bis nach Bielefeld. Als er von seinem letzten Besuch in Sierra Leone nach Hause kam, habe er angefangen zu heulen. Er saß in seinem Wohnzimmer, sein Hund lag neben ihm. &bdquo;Eigentlich eine idyllische Szene" – wenn er ausblenden könne, was anderswo passiert. Mehr Infografiken finden Sie bei Statista Vom IT-ler zum Vollzeit-Helfer Der 28-Jährige ist hauptberuflich IT-Servicemanager. Seine Arbeit für &bdquo;UCC Orphanage" sei aber wie ein zweiter Vollzeitjob. Zu seinem Engagement ist Juchhoff 2018 durch seinen Stiefvater Günther Mück gekommen. Mück unterstützt schon lange soziale Projekte – aus religiösen Gründen. Vor ein paar Jahren lernte er Pastor Samura Saa aus Sierra Leone kennen, der in Freetown ein Waisenhaus leitet. Mück begann, ihn finanziell zu unterstützen. Juchhoff bekam vom Projekt seines Stiefvaters mit und wollte anfangs nur eine Website bauen, um mehr Leute auf die Situation in Sierra Leone aufmerksam zu machen. Das sei ihm jedoch schwergefallen: &bdquo;Ich kann das nicht, wenn ich nicht mal vor Ort gewesen bin." Also buchte er einen Flug. Schon bei seinem ersten Aufenthalt sei er in einem Slum gewesen und habe mit den Leuten vor Ort gesprochen. Zurück in Deutschland sei ihm klar gewesen, dass er nicht einfach so weiterleben könnte. Er wollte einen Verein gründen – mehr Menschen zu Helfern machen und Waisenkinder in Sierra Leone dauerhaft unterstützen. Mittlerweile kümmert sich &bdquo;UCC Orphanage" um 20 Kinder. Die Zusammenarbeit mit Pastor Saa besteht nicht mehr, der Verein mietet demnach ein Haus, in dem die Kinder mit Juchhoffs Mitarbeiter Alusine, dessen Frau Mariatu und deren beiden Töchtern leben. Juchhoff erzählt, dass die Kinder so gerne zur Schule gehen, dass sie nachmittags freiwillig weiterlernen. Zwei Jungs seien den ganzen Tag am Lesen – einer wolle Arzt, der andere Anwalt werden. Dafür müsse man viel gelesen haben, sagen die beiden. Ansonsten machen die Kinder viel Sport: Fußball, Basketball, Tanzen. Juchhoff sagt lachend: &bdquo;Das ist Alusines Geheimrezept, um sich um so viele Kinder gleichzeitig zu kümmern." Sie seien wie eine große Familie. Ein Kinderdorf für Waisen in Sierra Leone Diese Familie soll bald wachsen. Juchhoff plant den Bau eines Kinderdorfes. Er hat zusätzlich zum deutschen Verein die UCC Scouts Foundation in Sierra Leone gegründet, ein Grundstück gekauft und Bauherren getroffen. Die Bauarbeiten sollen schon dieses Jahr losgehen. Für das erste Haus reicht das Geld auch; Mück finanziert so viel er kann – aber danach? Eigentlich soll jedes Jahr ein Haus für neue Kinder dazu kommen, irgendwann sogar ein Sportplatz und ein Gästehaus. Juchhoff hofft, in ein paar Jahren 100 Kinder unterbringen zu können. Er beschreibt: &bdquo;Das soll ein sicherer Rückzugsort für die Kinder werden, wo sie einfach Kind sein dürfen." Ganz nach Vereinsmotto &bdquo;every child deserves a childhood" – jedes Kind verdient eine Kindheit. Deshalb ist ein Leben in Gastfamilien geplant: Die ersten 20 Kinder bleiben bei Alusine, je 10 Kinder sollen in andere Familien kommen. Juchhoff bleibt als Organisator im Hintergrund: &bdquo;Die Kinder sollen sich auf die Leute vor Ort konzentrieren, nicht überschwänglich dankbar sein und mich vor allem nicht als den weißen Retter aus dem reichen Deutschland sehen." Er selbst wollte auch keine emotionale Bindung zu den Kindern entwickeln: &bdquo;Aber dann kommen alle auf einen zugerannt, wollen einen umarmen und binden einen sofort ein." Eigentlich sei er gar nicht der Typ dafür. Aber es motiviere ihn auch – die Arbeit mit den Menschen; zu sehen, wie viel man bewirken kann. Der Helfer braucht Hilfe Um ein Kinderdorf zu bauen, ist &bdquo;UCC Ophanage" aber auf Spender angewiesen – und die fehlen aktuell noch. Eigentlich hofft er auf die Unterstützung Bielefelder Unternehmen. &bdquo;Ich habe so viele E-Mails geschrieben, aber nichts hat geklappt", sagt Juchhoff. Er lacht – verzweifelt. Der Helfer wirkt hilflos. Er will noch viel mehr tun, kann das aber nicht allein. Die Antworten der Unternehmen seien jedoch immer gleich: Entweder unterstützen sie nur Projekte in Bielefeld oder generell keine mehr. Wenn sie überhaupt auf seine Nachricht antworten. Nun hofft Juchhoff auf Privatpersonen, denen der Verein gerne Spendenquittungen ausstellt. Interessierte können sich jederzeit bei ihm melden. 2020 habe er schon einmal eine Sachspendenaktion in Bielefeld organisiert – erfolgreich – das sei auch für 2021 wieder geplant. Für den Bau eines Kinderdorfes reicht das aber nicht. &bdquo;Am liebsten würde ich einen Haufen Menschen einpacken und in einen Flieger nach Sierra Leone setzten, damit die das verstehen." Man könne das Leid nur greifen, wenn man es mit eigenen Augen sieht. Bilder von hungernden Kindern sind zur Normalität geworden. Irgendwann wird man kalt; man beginnt, wegzuschauen. 20 Kinder bekommen durch Juchhoffs Projekt die Chance auf ein besseres Leben – und trotzdem ist es nur ein Bruchteil der Hilfe, die notwendig wäre. Jedes Mal, wenn Juchhoff da ist, sehe er, wie viele Kinder es gibt, denen er nicht helfen kann. Das tue ihm weh. Er schweigt kurz. Dann sagt er: &bdquo;Es ist nicht immer leicht, diesen Job zu machen, aber für die Menschen, die da leiden, ist es nie leicht."

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