Bielefeld Schwieriger Tag: Diese Kirche muss für neue Wohnungen weichen

Bielefeld-Altenhagen. Um 10.52 Uhr trugen Thomas Biele, Denise Wiesner, Detlev Gurcke, Felix Pähler und Pfarrer Gerald Wagner die liturgischen Gegenstände der evangelischen Johanneskirche hinaus. Soeben schlugen in Altenhagens Gotteshaus zum letzten Mal die Glocken, soeben wurde hier zum letzten Mal gebetet. In Kürze wird das Kirchenschiff abgerissen, um Platz für 25 Wohnungen zu schaffen. Für die Gemeindemitglieder war es ein emotionaler Abschied von ihrer fast 50 Jahre alten Kirche. Bleiben wird nur ihr Kirchturm. Nach dem letzten Segen durch den Superintendenten Christian Bald traten die 120 Gottesdienstbesucher aus ihrer Kirche. Teilweise betroffen blieben sie vor der Kirche mit der ihr eigenen Ästhetik der 1970er Jahre stehen. Mit seiner Entwidmung ist der Kirchraum nur noch &bdquo;ein Gebäude mit vier Wänden“, wie es Pfarrer Gerald Wagner bezeichnet. Er spüre eine Traurigkeit, auch wegen der Möglichkeiten in vergangenen Zeiten, als die Gemeinden noch viel Geld hatten. Aber ich spüre auch rational, dass es gut ist. &bdquo;Wir können hier am Ort weiterarbeiten. Die Präsenz Gottes hängt nicht an den Mauern seiner Kirchen“, betont der Pfarrer, der seinerseits im Herbst der Gemeinde den Rücken kehren und nach Herford gehen wird. Nicht wirtschaftlich: Rückgang von 3.900 auf 1.900 Gemeindemitglieder Der starke Rückgang der Gemeindemitglieder hatte diesen Schritt wirtschaftlich nötig gemacht. 1984 hatte die Gemeinde an der Kanzelstraße noch 3.900 Mitglieder, inzwischen sind es 2.000 weniger. Die Gebäude- und Personalkosten hatten seit Jahren die Einnahmen deutlich überschritten, berichtet Udo Schneider, bis zu seinem Ruhestand im vergangenen Jahr war er 34 Jahre lang Pfarrer dieser Gemeinde. Nachdem er diesen schweren Schritt in einem langjährigen internen Kampf vorbereitet hatte, geht es ihm nun &bdquo;richtig schlecht: Ich merke, dass mich das tief berührt.“ "Dann wird da noch so ein Geschwür an den Kirchturm gesetzt" So geht es auch anderen Gemeindemitgliedern: Magdalena Diekmeyer war früher Presbyterin und ehrenamtlich im Café tätig: &bdquo;Es ist nicht zu fassen. Ich kann gerade gar nicht sagen, was mir durch den Kopf geht.“ Anne Ziegler verbindet alle Taufen und Konfirmationen ihrer Kinder mit dem Gotteshaus. Sie erlebte hier viele feierliche Höhepunkte ihrer Familie: &bdquo;Ich wohne hier seit 74 Jahren. Ich habe erlebt, wie die Kirche 1970 gebaut wurde und nun wird sie wieder abgerissen.“ Was sie besonders verbittert: &bdquo;Und dann wird da noch so ein Geschwür an den Kirchturm gesetzt.“ Was sie Geschwür bezeichnet ist der geplante Gemeinderaum, der neben den Wohnkomplex gebaut werden soll. Ein Ersatz für das 450 Quadratmeter große Kirchenschiff wird er aber nicht sein: 120 Quadratmeter sind zu klein für Posaunenkonzerte oder den großen Weihnachtsgottesdienst. Ab der kommenden Woche müssen die Altenhagener zum Gottesdienst nach Milse. Die Gemeinde Altenhagen war seit 1962 eigenständig. Im Januar 2021 fusioniert sie offiziell mit der Nachbargemeinde. 34 Prozent mehr Kirchenaustritte machen neue Lösungen nötig Pfarrer Udo Schneider zeigt sich aber zukunftsgewandt: &bdquo;Wir dürfen diesen neuen Raum nicht isoliert betrachten. Wir müssen ihn zur neuen Gemeinde in Milse addieren.“ So schwierig das sei, ein Zusammenwachsen der Gemeinde sei dringend nötig. Auch in Milse habe es schwere Einschnitte gegeben. Superintendent Christian Bald rät, auf die Segenskraft Gottes zu vertrauen: &bdquo;In den vergangenen knapp 50 Jahren wurde in dieser Kirche viel Segen verteilt. Dieser Segen geht nicht verloren – er bleibt wirksam.“ Die Evangelische Kirche müsse sich aktuell auf vielen Ebenen neu ausrichten. Das gelte nicht nur für Altenhagen. 2019 registrierte der Kirchenkreis Bielefeld 1.575 Austritte – im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 34 Prozent. So werden auch auf dem Gelände des Gemeindehauses in Ubbedissen Wohnungen entstehen und eine Tagespflege werde dort als Mieter einziehen. &bdquo;Wir haben einen Umbruch in der Kirche mitzugestalten“, sagt Bald. &bdquo;Und dieser Umbruch eröffnet dem kirchlichen Auftrag neue Möglichkeiten.“ 3,5 Millionen-Euro-Investition erlaubt kleinen Gemeinderaum zu tragen In Altenhagen ermöglicht die 3,5 Millionen-Euro-Investition, dass der neue Gemeinderaum langfristig von den Mieteinnahmen getragen werden kann, sagt Pfarrer Wagner. &bdquo;Dafür haben wir hier seit einem halben Jahr einen Diakon mit dem Schwerpunkt Seniorenarbeit. Wir müssen das Besondere einer Gemeinde erkennen und fördern“, sagt der scheidende Pfarrer. Das sei in jeder Gemeinde etwas Anderes. Diese Aufgabe muss nun in Altenhagen und Milse Pfarrer Daniel Wiegmann lösen.

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