Mitte Im Bielefelder Osten fehlen Ärzte, Kneipen und Geschäfte

Bielefeld. 14 Kneipen und Gaststätten gab es vor 25 Jahren noch im 5. Kanton, dem alten Arbeiterviertel im Bielefelder Osten. "Jetzt sind es zwei", sagt Thomas Keitel, lange Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes. Das bedauern viele im Viertel. "Die Tendenz macht mir Angst", betont Wolfgang Lückewille, Vorsitzender der Werbegemeinschaft. Denn auch bei Läden, Dienstleistungen und Ärzteversorgung schwächelt das Quartier zunehmend. Lückewille: "Wir wollen nicht zur reinen Schlafstadt werden." Doch die Sorgen vor Ort rütteln die Bewohner auch auf. Jedes Jahr lädt Lückewille zur Bürgerversammlung ein - und mehr als 100 kamen jetzt ins Meinolf-Begegnungszentrum. Und trotz aller Kritik wollen sie anpacken. Der Vorschlag, eine neue Stadtteilinitiative zu starten und sich stärker zu vernetzen, kam gut an. 15 trugen sich in die Unterstützerliste ein. Stolz aufs Viertel: Auch Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD), der sich den Fragen und der Kritik stellte, versucht, dem 5. Kanton Mut zu machen: "Sie können hier stolz sein auf den Zusammenhalt und auf gute, gesunde Strukturen aufbauen, um das Viertel weiter zu entwickeln." Einen Anlass für größere soziale Förderprojekte wie in Baumheide, Sieker oder Oberlohmannshof sehe er nicht. Stadtteilkoordinator Leif Pollex steht als Kümmerer und Ansprechpartner bereit. Kneipensterben: Ein Indiz dafür, wie sich das Leben im 5. Kanton, aber auch in der städtischen Gesellschaft verändert, ist das Kneipensterben. Die Versorgung in den Stadtteilen wird immer schwieriger, weil kleine Einheiten wie Tante-Emma-Läden oder Hausarztpraxen aufgegeben haben. Zwar kann man im 5. Kanton gut wohnen, sind sich viele einig, in die Häuser haben auch Wohnungsgesellschaften investiert. Aber die soziale Infrastruktur lässt nach. Jüngst schloss auch noch der bekannte Fichtenhof. Keitel, der selbst im Viertel wohnt, erklärt, das Verhalten der Menschen habe sich geändert. Früher gingen die Arbeiter nach der Schicht Bier trinken in die Kneipe. Das ist längst vorbei. "Die Leute waren geselliger, heute leben sie bewusster, sind eher zu Hause vor dem Fernseher." Im 5. Kanton vermissen aber viele ein Bürgerzentrum als "sozialen Mittelpunkt im Viertel", wie Lückewille sagt. Haus Petristraße 2: Das könnte im Eckhaus Petristraße 2 / Hakenort entstehen, das auf einer alten Straßentrasse steht, der Stadt gehört und verfällt, erhofft sich seit Längerem eine Initiative junger Leute, die das Gebäude übernehmen und nutzen will. Hauptziel sei es jetzt aber, dort ein Wohnprojekt für 15 Bewohner zu gründen. So könne der dringend nötige günstige Wohnraum geschaffen werden. Für die Sanierung kalkulieren sie gut 800.000 Euro, die über ein "Miethäuser-Syndikat"-Projekt und Direktkredite finanziert werden könnten. Events und Feste fürs Viertel sollten dort auch stattfinden. Demgegenüber stehen Pläne von Karl-Jörg Kollmeyer, dessen Familie das Haus früher gehörte. Der Bielefelder würde das Gelände kaufen und ein neues Wohnprojekt mit 16 bis 18 Einheiten errichten lassen - mit nachgebauter alter Fassade, wie er sagt, auch um den "Torcharakter" am Vierteleingang zu erhalten. Kollmeyer hat derzeit die besseren Karten bei den Politikern. Und die muss entscheiden. Derzeit lässt die Stadt einen neuen Bebauungsplan erarbeiten. Die Initiative, zu der auch Bewohner des Nachbar-Miethauses Hakenort 42 gehören, gibt aber nicht auf. Der Oberbürgermeister erkennt ihr Engagement an: "Das hört sich spannend an." Aber er dämpft die Hoffnung: "Sie sollten sich nicht auf diesen Standort festlegen. Eine tolle Idee, aber nicht unbedingt hier." Bürgertreff: So läuft es derzeit eher darauf hinaus, dass vorhandene Anlaufpunkte wie das AWO-Begegnungszentrum an der Meinolfstraße verstärkt für Angebote genutzt werden könnten. Hier könne es am Café mehr Außengastronomie geben. Clausen: "Die AWO ist bestimmt recht offen." Der OB sagt aber auch: "Begegnung lebt von Menschen, die Zeit und Kraft einbringen und Verantwortung übernehmen." Radrennbahn: Das wollen sie. Und tun es an einigen Stellen wie der Radrennbahn, die unter Denkmalschutz steht. Für den Förderverein warb Jan Scholten bei Clausen, dass die Stadt die Erneuerung der einzigartigen Sportanlage doch unterstützen sollte. Doch die Ehrenamtlichen stoßen auf Granit. Der OB: "Als Eigentümer haben wir die Pflicht, das Denkmal zu erhalten, aber nicht Millionen an Steuermitteln da rein zu pumpen. Deshalb bleibe ich hier auf der Bremse." Baustellen: Mit Sorge blicken die Menschen im Osten auf die bevorstehende Sanierung der Heeper Straße ab 2020 mit jahrelanger Großbaustelle. Das wird Beeinträchtigungen bringen, räumt der Oberbürgermeister ein. Und er bedauert erneut, dass die Stadtbahnlinie 5 nach dem Bürgervotum nicht kommt: "Da müssen wir den Verkehr anders abwickeln." Er sagt aber auch klar: "Eine Stadtbahn sehe ich hier nicht mehr. Das Votum ist bindend. Sonst verlieren wir das Vertrauen in die Politik." Die vielen Baustellen, aber auch Bausünden, wie einige das neue Eckgebäude an der Bleich-/Ziegelstraße empfinden, und Müll an Straßen und in Grünanlagen stören die Bewohner im 5. Kanton. Pläne für Pflegeheim: Ein weiteres großes Projekt steht ab 2020 an. Das Johanneswerk will an der Petristraße für rund 10 Millionen Euro ein Pflegeheim mit 80 Plätzen bauen. Die politische Beratung dauerte länger, jetzt läuft das Planverfahren an. Geschäftsführer Andreas Lüttig rechnet im Sommer 2021 mir der Fertigstellung. Umstritten ist hier weiter die Frage, ob 14 bis 15 Parkplätze ausreichen. Die Bürger sind skeptisch, weil heute schon der Parkdruck an der Petristraße hoch sei.