Bielefeld

"Terror": Viel Theater um die Frage der Schuld

Dilemma: Weil Terroristen ein Flugzeug im Stadion abstürzen lassen wollen, schießt in dem Stück Terror ein Pilot der Bundeswehr das voll besetzte Flugzeug ab. Schuldig oder nicht?

Der Angeklagte: Pilot Jan Sabo hat 164 Menschen getötet und dadurch 70.000 Menschen gerettet. | © Joseph Ruben

25.02.2016 | 25.02.2016, 06:00

Bielefeld. Wenn ein Pilot 164 unschuldige Menschen abschießt, würden Sie ihn schuldig sprechen, ja? Auch, wenn er damit das Leben von 70.000 Menschen rettet? Über die Zukunft des Angeklagten müssen in dem Stadttheater-Stück Terror die Zuschauer entscheiden. Und die sind sich einig: In allen Vorstellungen wird der Pilot freigesprochen. Wie die Rechtslage mit solchen Fällen umgeht und welches moralische Dilemma dahinter steckt - ein Jurist und eine Professorin für Philosophie klären auf.

Eva Kunze und Thomas Ems sind eigentlich ein ganz harmonisches Paar. Eigentlich, beim Stück Terror im Theater Bielefeld führen sie in der Pause eine hitzige Debatte darüber, ob sie den Piloten frei oder schuldig sprechen sollen.

Zur Verhandlung steht der Fall eines Luftwaffenpiloten, der ein von Terroristen entführtes Flugzeug mit 164 Passagieren abgeschossen hat, um zu verhindern, dass es in ein voll besetztes Stadion mit 70.000 Menschen rast. Für Thomas Ems ist die Sache klar: "Da die Menschen im Flugzeug sowieso gestorben wären, ist die Entscheidung richtig. Und deswegen stimme ich für Freispruch." Seine Freundin kontert: "Niemand darf darüber entscheiden, wer leben darf und wer nicht. Der Pilot ist ganz klar schuldig."

In insgesamt sieben Vorstellungen haben 2.785 Zuschauer für unschuldig, 1.362 für schuldig gestimmt. Für Michaele Rehm, Professorin für Philosophie an der Universität Bielefeld ist das kein überraschendes Ergebnis. "Vielen Menschen scheint intuitiv klar zu sein, dass der Tod von 70.000 Menschen schlechter ist als der Tod von 164 Menschen."

Moralpsychologen bestätigen diese Intuition an folgendem Untersuchungsbeispiel: Fünf Menschen stehen auf den Schienen und ein außer Kontrolle geratener Förderkarren rast heran, der alle fünf töten wird. Nun gibt es einen Hebel, mit dem man den Karren auf ein anderes Gleis umleiten kann. Allerdings steht auf dem eine Person, die dann getötet wird. "Fragt man die Menschen, wie sie in dieser Lage entscheiden würden", sagt Rehm, "geben die meisten an, sie würden den Karren umleiten."

Interessanterweise fällt die Entscheidung anders aus, wenn man das Gedankenexperiment verändert: Wiederum befinden sich fünf Menschen auf dem Gleis, wieder kommt ein Karren angerast. Diesmal gibt es keinen Hebel, um ihn umzuleiten. Dafür steht ein wuchtiger Mann auf einer Brücke, der, wenn man ihn runterschmeißt, den Karren stoppen würde.

"Sollte man den Mann von der Brücke stoßen?", fragt Rehm. Diese Frage wird in der Regel verneint. Und das zeigt: "Wir können unserer moralischen Intuition nicht immer vertrauen. Denn in beiden Beispielen geht es darum, einen Menschen für fünf andere zu opfern." In einem echten moralischen Dilemma hingegen befindet sich laut Rehm der Pilot. Egal, wie er sich entscheidet, er kommt ihrer Meinung nach nicht mit einer weißen Weste davon.

Für Georg Schulze, Fachanwalt für Strafrecht scheint der Fall klarer. Im Jahr 2006 empfand das Bundesverfassungsgericht ein Luftwaffengesetz für verfassungswidrig, das Streitkräfte ermächtigte, Luftfahrzeuge, die als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollen, abzuschießen. Demnach habe der Pilot gegen das Gesetz gehandelt. "Der Tatbestand könnte entweder Totschlag oder Mord sein", sagt Schulze.

Notwehr sei ausgeschlossen, da man nur sein eigenes Leben verteidigen darf. Auch hat der Angeklagte nicht nur die Terroristen, sondern auch Unschuldige getötet.

Ein weiteres Prüfkriterium, erklärt Schulze, ist die Frage der Schuldfähigkeit. Da der Pilot aber weder unter Einfluss von berauschenden Mitteln stand noch unter eine Psychose litt, könne man davon ausgehen, dass er eine rationale Entscheidung getroffen hat. Eine Ausnahme wäre, wenn der Pilot sein, das Leben von Angehörigen oder nahestehenden Personen hätte retten wollen.

"Nach geltendem Gesetz müsste man den Piloten also schuldig sprechen", sagt Schulze. Die ethische Begründung hinter dieser Gesetzeslage ist, dass man Leben nicht gegen Leben aufrechnen kann.