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Bringt ihre Fachkompetenz ein: Rechtsanwältin Heidi Saarmann ist seit 2006 im Vorstand des Mädchenhauses, dessen neuestes Projekt "Mädchen sicher inklusiv" ist. Die farbenfrohe Jacke hat die 61-Jährige selbst gestrickt. - © Wolfgang Rudolf
Bringt ihre Fachkompetenz ein: Rechtsanwältin Heidi Saarmann ist seit 2006 im Vorstand des Mädchenhauses, dessen neuestes Projekt "Mädchen sicher inklusiv" ist. Die farbenfrohe Jacke hat die 61-Jährige selbst gestrickt. | © Wolfgang Rudolf

Bielefeld Frauenpreis: Heidi Saarmann ist die Anwältin der Opfer

Frauenpreis (3): Heidi Saarmann (61) hat das Tabuthema Gewalt und sexueller Missbrauch in die Öffentlichkeit gebracht - kein einfacher Weg für sie und ihre Mitstreiterinnen

Ariane Mönikes
18.02.2016 | Stand 23.02.2016, 14:00 Uhr

Bielefeld. Als sich Heidi Saarmann 1984 als Rechtsanwältin selbstständig machte, gab es gerade mal eine Handvoll Anwältinnen in Bielefeld. "Wir galten als bunte Vögel, die kritisch beäugt wurden", sagt die 61-Jährige. Es waren vor allem Frauen, die zu ihr in die Kanzlei kamen. Sie hatte zunächst kein Rechtsgebiet, in dem sie ausschließlich tätig war. Saarmann nahm Mandantinnen an wie sie kamen. "Die Probleme standen bei mir in der Tür."

Immer häufiger vertrat Saarmann damals Frauen, die Opfer von Gewalt geworden waren. Sie begann, über ihre Arbeit in der Kanzlei hinaus ihre Sach- und Fachkompetenz einzubringen. "Ich habe Vorträge gehalten, um das Tabuthema Gewalt und sexueller Missbrauch in die Öffentlichkeit zu bringen", erzählt sie. Saarmann musste dicke Bretter bohren, gegen Trägheit und Widerstände kämpfen. Mit anderen Frauen arbeitet sie noch heute in dem Netzwerk Opferhilfe Bielefeld, holt die Themen aus der Tabuszene heraus.

"Die Vernehmungssituation war so nicht hinnehmbar"

In der Gruppe "Frauen in und um den Prozess" setzte sie sich für ein kindgerechtes Vernehmungszimmer ein. 1992 hatten die Frauen ihren ersten offenen Brief, an den damaligen Bielefelder Polizeipräsidenten gerichtet, geschrieben. "Die Zustände im Präsidium waren so nicht hinnehmbar", sagt Saarmann. Sie erinnert sich an eine Szene, in der ein junges Gewaltopfer zur Vernehmung in einem Durchgangszimmer gegessen hätte. Ein Beamter hämmerte auf die Tasten seiner Schreibmaschine, ein anderer kam herein und holte sich eine Zahnbürste aus dem Schrank. "Das Kind war völlig verschreckt", sagt Saarmann.

Auch an der Vernehmungsordnung vor Gericht hatten Saarmann und ihre Mitstreiterinnen Kritik auszusetzen. "Es gibt Opfer, die Schutz brauchen", sagt Saarmann. "Den haben sie aber nicht bekommen." Seit 2000 gibt es mittlerweile am Landgericht Bielefeld ein Zeugenschutzzimmer, die Frauen werden dort professionell betreut. "Die Justiz hat gelernt, mit uns zusammenzuarbeiten."

In den 80er Jahren bekam Saarmann erste Kontakte zum Bielefelder Mädchenhaus, 1991 gründete sie mit anderen Frauen den Förderverein. Als 2006 die Landesmittel für das Mädchenhaus wegfielen, warb sie mit anderen Frauen Spenden ein und wechselte vom ehrenamtlichen Vorstand des Fördervereins in den Vorstand des Hauptvereins. Auch heute noch ist sie dort aktiv, kämpft Seite an Seite mit Jutta Fechtelkord und Nilgün Isfendiyar. "Die Krise ist überstanden", sagt Saarmann. 2011 wurde das Clearinghaus Porto Amal für minderjährige Flüchtlingsmädchen aus dem Boden gestampft, ganz neu ist das Projekt "Mädchen sicher inklusiv", das Mädchen unterstützt, die mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung leben. "Für diese Mädchen ist es häufig besonders schwer, Schutz zu bekommen, weil sie sich nicht artikulieren können", sagt Saarmann.

Sie bekomme von den Frauen, denen sie zur Seite steht, viel zurück. Das spornt sie an, sich weiter zu engagieren. Die Frauenberatungs-Infrastruktur in Bielefeld sei "super," für jedes Problem gebe es einen Ansprechpartner. Sich jetzt aber zurückzulehnen, wäre falsch.

Saarmann selbst wird weiter streiten für die Opfer von Gewalt und Missbrauch. Das Thema begleitet sie mittlerweile mehr als drei Jahrzehnte, beruflich und im Ehrenamt.

Kraft tankt sie im Privaten: Mit Hündin Gertrude, genannt "Trudi", geht sie in der Mittagspause spazieren, einmal in der Woche macht sie mit ihrer BTG-Turngruppe Gymnastik. Und der Freitagnachmittag ist für Enkel Hugo (2) reserviert. "Ganz viele Sachen, bei denen ich den Kopf frei bekomme."

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