Corona-Leugner und Co. Streit über Verschwörungstheorien: Wie nach dem Bruch Versöhnung gelingt

Bielefeld. Freundschaften, Beziehungen, Ehen sind in den vergangenen Jahren an der Pandemie gescheitert. Das Problem war nicht unbedingt Corona selbst, sondern die Lager, in die sie unsere Gesellschaft gespaltet hat. Ständige Vorwürfe, das Beharren auf dem eigenen Standpunkt und die vermeintliche Eindeutigkeit, mit der sich viele auf der richtigen Seite wägten, haben unserem Umgang miteinander nachhaltig geschadet. Alex, der eigentlich anders heiß, möchte eine solche belastete Beziehung retten und sucht sich Hilfe. Diese Redaktion hat mit einem Experten gesprochen. Wie der Umgang gelingt und was den Riss kitten kann. Es ist eine Angehörige, die Alex mit aufgezogen hat, zu der die Beziehung beinahe zerstört ist. Zwischen seinen und ihren Ansichten liegen heute Welten. Er kann sie nicht verstehen – und sie ihn nicht. "Meine Hoffnung ist, dass die Beziehung gedetoxt wird", sagt Alex. Entgiftet also. Denn wichtig ist ihm seine Verwandte trotz aller Uneinigkeiten. "Ich will sie nicht komplett verlieren." Wie anfällig Menschen für Verschwörungserzählungen sind, habe mit einem grundlegenden Gefühl zu tun: Angst. Das Problem verschärfe sich, wenn man versucht, dagegen anzureden. "Sachliche Argumentation ist dann nicht mehr hilfreich", sagt Christoph Grotepass von der Sekten-Info NRW. Er unterstützt den Bielefelder dabei, eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Verschwörungsgläubigen und Corona-Skeptikern aufzubauen. Seine Tipps helfen auch dann, wenn das Verhältnis "nur" aufgrund unterschiedlicher Meinungen zerrüttet ist. Gefühle statt Fakten fokussieren "Er hat mir erklärt, dass Verschwörungstheorien auf Ängste abzielen", sagt Alex. Grotepass empfiehlt ihm, nicht abwehrend zu reagieren, Sorgen ernstzunehmen. "Lachen führt dazu, dass die Leute immer weniger mit dir reden." Wer die Beziehung kitten will, müsse sich zunächst fragen: Welche emotionalen Beweggründe gibt es? Oft lägen familiäre oder persönliche Missstände oder Schicksalsschläge zugrunde, erklärt Grotepass. "Verschwörungserzählungen dienen nicht selten als Ablenkung von eigenen Problemen." Die Corona-Pandemie habe diese verschärft: Der Bekanntenkreis brach weg, wirtschaftlich wurde es eng. Jahrelange Unzufriedenheit mit dem medizinischen System oder Skepsis gegenüber der Pharma-Lobby würden befeuert. "Diese Empörung sucht Kanäle, die nicht unbedingt lösungsorientiert sind", sagt Grotepass. Zudem stellten sich einige Corona-Maßnahmen rückblickend als Fehlentscheidung heraus - was die Skepsis legitimiert, und auch Verschwörungserzählungen glaubwürdiger erscheinen lässt. Risikofaktoren Alter und Soziale Medien Das Mobilisierungspotenzial der Sozialen Medien ist laut dem Theologen beispiellos. Die Geschwindigkeit, mit der Menschen auf Verschwörungstheorien treffen, sei neu. "Leute werden einsam, da fängt man an zu googeln, und dann sorgt der Algorithmus der Sozialen Medien für den Rest", sagt Grotepass. Durch Lockdowns und Einschränkungen des öffentlichen Lebens seien viele Menschen auf sich selbst zurückgeworfen und damit anfälliger für vermeintliche Lösungen durch Verschwörungserzählungen. Dazu komme, dass viele ältere Menschen nicht versiert im Umgang mit Sozialen Medien und Co. seien. "Ältere sind öfter davon betroffen, beim Googlen auf Abwege zu geraten", sagt Grotepass. Gerade zum Berufsende würden viele Menschen ihren Nutzen infrage stellen. Diese Selbstwirksamkeitsverluste in Kombination mit einer schnell verändernden Welt und wirtschaftlichen Schieflagen befeuerten Sorgen und Einsamkeit. Und dann gibt es zum Beispiel Menschen, die mit Renteneintritt endlich reisen wollten - und wegen des Lockdowns Zuhause bleiben mussten. Nachvollziehbare Gründe für Unmut und Ablehnung. Diese gilt es anzuerkennen. Was im Umgang hilft Eine vorschnelle Verurteilung ist zu vermeiden. "Rechtsextreme Tendenzen sind den Leuten manchmal gar nicht so bewusst", sagt Grotepass. "Es geht oft nicht in erster Linie um eine sachliche Thematik, sondern um eine emotionale, an die ich gerade nicht rankomme." Wichtig sei es, die eigenen Werte zu zeigen, ohne in der Diskussion zu eskalieren. Wer Grenzen setzen möchte, ohne Brücken abzureißen, könne das, indem der Fokus des Gesprächs verschoben wird. Grotepass nennt mögliche Formulierungen: "Ich komme zu anderen Schlüssen, bitte respektiere das", "Lass uns wann anders darüber sprechen, ich möchte mich selbst dazu informieren" oder "Mich interessiert mehr, wie es dir persönlich geht." Auch gemeinsame Aktivitäten, abseits der Diskussion, könnten helfen. "Lass uns was machen, was uns beiden guttut", schlägt Grotepass vor, um vom Destruktiven ins Konstruktive zu kommen. Die Pausentaste zu drücken kann helfen, Verschwörungsgläubige und Kritiker aus ihrer Spirale zu holen. In einem zweiten Schritt empfiehlt Grotepass, gemeinsam nach Faktenchecks zu suchen und seriöse Quellen zu prüfen. Auch die konsumierten Kanäle können betrachtet werden. Wichtig sei, die emotionale Grundlage der Betroffenen zu betrachten. Welche Ängste haben sie? Schon auf erste Anzeichen achten Überwiegend seien gesundheitliche Sorgen und Unzufriedenheit mit Pandemiemaßnahmen die Ausgangssituation gewesen. Dazu kamen existenzbedrohende Aspekte. "Es gibt berechtigte Sorgen, die man diskutieren kann, ohne in Verschwörungstheorien abzudriften", sagt Grotepass. Ziel sei es, Menschen in den Diskurs zurückzuholen. Um Hilfe zu suchen, muss die Situation nicht erst festgefahren sein. Erste Anzeichen seien wichtig. "Es ist eine Spirale. Menschen werden da reingezogen, dann stößt man ihnen vor den Kopf, wenn man etwas als Spinnerei abtut, und dann ziehen sie sich zurück", sagt Alex. Auch Uwe Ohlrich von der Selbsthilfe-Kontaktstelle "Der Paritätische NRW", der Alex bei der Gründung einer eigenen Selbsthilfegruppe unterstützt, plädiert für frühe Reaktionen - aus Selbstschutz. "Die Gefahr, dass ich selbst in ein Gedankenchaos stürze, ist durchaus gegeben."

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