Zu wenig Menschen können Erste Hilfe leisten - oder trauen sich nicht

Wer auf Deutschlands Straßen einen schweren Unfall hat oder gar einen Herzstillstand erleidet, der hat schlechte Karten: Denn der Großteil der Bevölkerung kann kaum Erste Hilfe leisten. Geschweige denn, eine ordentliche Herzdruck-Massage durchführen. Das kostet jedes Jahr tausende Menschen das Leben. Wie viele Menschen in der Lage sind und sich überhaupt trauen, einen Menschen mit Herzstillstand zu reanimieren, das zeigt die Reanimationsquote der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGÄI). Im Jahr 2018 lag sie bei 39 Prozent. &bdquo;Das ist nicht mehr so schlecht wie noch vor ein paar Jahren. Da lag sie bei 17 Prozent", sagt Notfallmediziner und DGÄI-Mitglied Jan-Thorsten Gräsner. &bdquo;Aber im Vergleich mit skandinavischen Ländern, die eine Quote von bis zu 70, 80 Prozent aufwarten können, ist da noch reichlich Luft nach oben." Nun sind diese Zahlen sehr abstrakt. Viel anschaulicher werden sie, nimmt man die Opfer in den Blick. 80.000 bis 100.000 Fälle von plötzlichem Herztod gibt es pro Jahr in Deutschland, er ist eine der häufigsten Todesursachen. 10.000 Menschen mehr könnten ihn überleben, wenn mehr Laien reanimieren würden, so Hochrechnungen der DGÄI. So schnell wie ein Laie ist kein Notarzt Das Problem: Auch das effizienteste Rettungssystem mit äußerst kurzen Hilfsfristen kann hier oft nichts mehr ausrichten. &bdquo;Das Gehirn braucht ab der ersten Minute Sauerstoff", sagt Christian Flottmann, Leiter der Kardiologischen Intensivstation des Herz- und Diabeteszentrums NRW, Bad Oeynhausen. &bdquo;So schnell ist kein Notarzt. Hier sind also wirklich die Laienhelfer, die direkt vor Ort sind, entscheidend." Die trauen sich aber nicht, das ist die einhellige Aussage aller mit dem Problem betrauten Verbände und Kliniken. &bdquo;Viele Menschen haben Angst, etwas falsch zu machen, alles noch schlimmer zu machen", sagt Stefan Osche, Erste-Hilfe-Experte beim Deutschen Roten Kreuz. &bdquo;Und das ist oft ganz bitter und besorgniserregend, weil mit ein paar einfachen Handgriffen ein Menschenleben hätte gerettet werden können." Sein Kollege Gräsner von der DGÄI formuliert es noch pragmatischer: &bdquo;Im Zweifel ist der Mensch vor einem bereits tot. Was will man da noch schlimmer machen?" Besonders falsch liegen viele Menschen in der Annahme, dass sie im Ernstfall Fremden auf der Straße zu Hilfe kommen müssten. &bdquo;In den meisten Fällen passiert ein Herzstillstand im häuslichen Umfeld. Und dann liegt da ein geliebter Mensch", sagt Sebastian Rehberg, Chefarzt der Klinik für Intensiv- und Notfallmedizin im Evangelischen Klinikum Bethel. Forderung nach Verpflichtung Grundsätzlich empfehlen die Experten, die Kenntnisse in Erster Hilfe alle zwei Jahre aufzufrischen. &bdquo;Das muss ja nicht jedes Mal ein Kurs mit neun Einheiten sein", sagt DRK-Mitarbeiter Osche. &bdquo;Viele Verbände bieten Auffrischungskurse oder sogar anderthalbstündige Reanimations-Massage-Kurse an. Das kann wirklich jeder leisten, da hin zu gehen." Wie viele Menschen derzeit mit den verblassten, rudimentären Kenntnissen ihres Erste-Hilfe-Kurses beim Ablegen des Führerscheins durchs Leben gehen, ist statistisch nicht erfasst. Zuletzt hat das Deutsche Rote Kreuz 2001 eine Studie erhoben: Hier gaben 80 Prozent der Befragten an, dass ihr letzter Erste-Hilfe-Kurs 15 Jahre zurückliege. Chefarzt Rehberg vom EVKB ist deshalb grundsätzlich dafür, die Bevölkerung zu Erste-Hilfe-Kurse zu verpflichten – &bdquo;aber wie schade, dass das überhaupt nötig ist."